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Neuerscheinungen 2012

Stand: 2020-01-07
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Karl Meyerbeer, Pascal Späth (Beteiligte)

Topf & Söhne - Besetzung auf einem Täterort


Herausgegeben von Meyerbeer, Karl; Späth, Pascal
2012. 187 S. m. 205 Abb. 28 cm
Verlag/Jahr: GRASWURZELREVOLUTION 2012
ISBN: 3-939045-20-9 (3939045209)
Neue ISBN: 978-3-939045-20-5 (9783939045205)

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Die Hausbesetzung auf dem ehemaligen Gelände der Erfurter Firma Topf & Söhne, die in der Zeit des Nationalsozialismus Krematoriumsöfen für Konzentrations- und Vernichtungslager hergestellt hatte, war in den 2000er-Jahren eines der bekanntesten linksradikalen Projekte in Deutschland. Das Buch dokumentiert die Erfahrungen dieser Zeit. Mit Erzählungen, Analysen und zahlreichen Abbildungen werden die gemeinsamen Kämpfe und internen Streitigkeiten rekonstruiert. Außerdem wird ein Überblick über die Hausbesetzer- und Hausbesetzerinnenszene der 1990er-Jahre in Erfurt und die historische Bedeutung der Firma Topf & Söhne gegeben.
"VORWORT
"Wir, eine Gruppe politisch engagierter Menschen aus Erfurt, haben heute am 12. April um 9:00 Uhr das ehemalige Firmengelände des Nazi-Betriebs Topf & Söhne besetzt" - so begann die Pressemitteilung, mit der sich die Besetzer_innen 2001 an die Öffentlichkeit gewandt hatten. Ende 1997 war es mit dem autonomen Zentrum "Corax" zu Ende gegangen. Nach drei Jahren des politischen Taktierens zwischen Politik, Verwaltung und dem damaligen Haus-Verein Allerlei e.V. war die Stimmung auf dem Tiefpunkt. Kaum jemand glaubte noch daran, auf dem Verhandlungswege ein Haus zu bekommen. Mit der Besetzung des ehemaligen Topf-&-Söhne-Geländes wollten die Beteiligten wieder selbst die Initiative für ein selbstverwaltetes Zentrum ergreifen. Seit 1995 hatte keine Besetzung in Erfurt länger als zwei Wochen gehalten.

Marcel Müller beschreibt in seinem Beitrag, wie die Entscheidung zustande kam, gerade dieses Gelände zu besetzen: An einem Abend unter der Krämerbrücke wurde beschlossen, sich der Herausforderung der Besetzung eines Täterorts zu stellen. Dabei rechnete niemand damit, dass man gleich acht Jahre auf dem Gelände würde bleiben können. Mit der Besetzung ging die Selbstverpflichtung einher, sich mit der Geschichte des Holocausts zu befassen und eine angemessene städtische Erinnerungspolitik einzufordern. Schließlich war bekannt, dass auf dem Firmengelände in der NS-Zeit die Krematoriumsöfen für Auschwitz und andere Konzentrations- und Vernichtungslager hergestellt wurden.

Eine Fläche von über 50.000 Quadratmetern - etwa acht Fußballfelder - umfasste die gesamte Industriebrache, ca. ein Viertel davon wurde besetzt. Auf diesem Teil gab es über die Jahre hinweg eine ungeheure Breite von Projekten. Zu Beginn kamen diese noch weitgehend aus dem direkten Kreis der Besetzer_innen, aber schon in den ersten Wochen entfaltete sich auf dem Gelände ein konstruktives Chaos, das ein Interview mit ehemaligen Bewohner_innen des Wagenplatzes auf den Punkt bringt: Als eine Gruppe junger Punks gehört hatte, dass ein Haus besetzt wurde, besorgte man sich Bauwagen, ging auf das Gelände und fühlte sich zuhause. Wie ihnen sollte es zahlreichen weiteren Projekten und Menschen gehen: Man hatte eine Idee, suchte sich Leute und fand einen offenen Raum. Das Hausplenum wäre manchmal gerne deutlicher in der Position gewesen, die entscheidende Instanz für das gesamte Gelände zu sein. Letzten Endes gab es aber ein solches politisch-organisatorisches Zentrum nicht, sondern eher ein dynamisches Netz von höchst unterschiedlichen Projekten und Einzelpersonen, die immer wieder neu ihre Position zueinander und zur Restwelt aushandelten. Die Beiträge "Die Organisierung des Chaos" und "Mittwochs ist doch Plenum" machen dieses Spannungsverhältnis nachvollziehbar. Die große Differenz zwischen den verschiedenen Wünschen und Ansprüchen der Nutzer_innen wird ein Stück weit deutlich, wenn man die Beiträge der Punks Rüdiger und Keller mit denen der Bewegungsintellektuellen Gesa Wolf und Marcel Müller vergleicht. Die extreme Unterschiedlichkeit der Nutzer_innen hat zu Konflikten geführt, aber auch eine produktive Spannung aufgebaut, aus der Prozesse entstanden sind, die weder in einem reinen Punkerschuppen noch in einer studentischen Politgruppe möglich gewesen wären. Coma Richter resümiert das in einem Interview wunderbar: "Großartig ist, wenn in einem Projekt Leute aus extrem verschiedenen Ecken sich ´nen Kopf machen und Sachen zusammen auf die Beine stellen."...."