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Neuerscheinungen 2014

Stand: 2020-02-01
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Louis-Philippe Dalembert, Peter Trier (Beteiligte)

Jenseits der See


Aus d. Französ. v. Trier, Peter
2., überarb. Aufl. 2014. 145 S. 21.5 cm
Verlag/Jahr: LITRADUKT 2014
ISBN: 3-940435-15-5 (3940435155)
Neue ISBN: 978-3-940435-15-6 (9783940435156)

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Eine Insel auf der anderen Seite des Ozeans, wo Abschied, Exil und Flucht allgegenwärtig sind. "Jenseits der See" erzählt von den langen Wanderungen des haitianischen Volkes, dessen Schicksal von den Sklavenschiffen bis zu den Kanus der Boatpeople immer mit einer anderen Seite, einem Jenseits der See verknpüft war.
Eine Familiensaga, eindrücklich erzählt von einem der wichtigsten Gegenwartsautoren der Karibik.
Platz 5 der litprom-Bestenliste "Weltempfänger" Frühjahr 2009
Ich war noch mit dem Erwachsenwerden beschäftigt, als die Stadt begann, von den unaufhörlichen Hammerschlägen widerzuhallen, die dem Leben auf dieser Seite des Ozeans ihren Rhythmus aufprägen sollten, crescendo, wie eine Note, die etwas lauter gespielt wird als der Rest der Melodie. Wahrscheinlich hatte alles lange vor diesem Abend begonnen. Wahrscheinlich hatte das Gehämmer eine lange Pause gemacht und setzte wieder ein, so wie die Wellen sich zurückziehen, um sich dann mit verstärkter Wut gegen den Rumpf eines zerbrechlichen Bootes zu werfen. Jedenfalls begann ich sie in diesem Moment zu hören. Ich erinnere mich noch genau an den trockenen, schüchternen Klang des ersten Schlages, dann der zweite, der dritte schon entschlossener ... Ich war aus dem Bett gesprungen, war ans Fenster gegangen, das ich oft offen ließ, um die dem Schlaf förderliche Brise einzulassen, und hatte gehorcht. Das seltsame Getrommel hatte sich in der Nacht verstärkt und sich bis zum Morgen quälend durch sie hindurchgezogen. Seither war es nicht mehr verstummt und hatte sämtliche Geräusche ringsum übertönt: das Brummen der Autos, das Liebesgeheul, die Schreie der ausgehungerten Kinder, die wütend brennende Sonne, die gedämpften Schritte der Erinnerung ...
Die Stadt gehörte damals dem Sohn des Mannes-der-für-tausend-Jahre-die-Macht-ergriffen-hatte. Die Bevölkerung hatte sich schließlich an den Gedanken gewöhnt, sah mit einem gewissen Wohlwollen zu, wie er gutmütig beleibt im Hof des Palastes herumspazierte, und vergaß darüber die Terrorjahre, die die Herrschaft seines Vaters geprägt hatten. Freilich war er, nachdem seine eigene Herrschaft bei Karnevalsfeierlichkeiten besonders respektlos aufs Korn genommen worden war, im Fernsehen aufgetreten und hatte gebrüllt, er sei der Sohn eines Tigers und könnte bei Gelegenheit beweisen, dass er seine natürlichen Reflexe besaß, aber niemand hatte ihn ernst genommen. Die Bevölkerung hatte lediglich die Gelegenheit ausgenutzt, ihm den Namen Titig zu verleihen, einen der eher Zuneigung ausdrückenden Diminutive, wie man sie in dieser Ecke der Welt häufig antrifft. In der Folge hatten die Stadtbewohner seine Hochzeit mit einer ehemaligen Stripteasetänzerin und die Geburt des jüngsten Mitglieds der Dynastie sogar mit Freudenfesten begangen. Und so hätte nur ein Seher von hohen Gnaden ahnen können, was folgen sollte.

Eigentlich hätte beim plötzlichen Verschwinden Marie-Claires, die alles, was mit Pickeln im Viertel herumlief, in die Wonnen des Fleisches eingeführt hatte, zumindest den Jüngsten etwas dämmern müssen, denen, die sie allein durch die Macht ihres Geschlechtsteils in Angst und Schrecken hielt. Aber wir lebten zu sehr in der Erinnerung an ihre Lektionen, um an etwas anderes zu denken. Nicht einmal an den rüden und eher frustrierenden Unterricht der um fünf Jahre Älteren. Wir mussten so tun, als verstünden wir, wenn sie nach Kriterien, die sich nur nach ihrer momentanen Laune richteten, einen von uns für einen Vor- oder Nachmittag ausgewählt hatte. Der Erwählte folgte ihr dann stolz und schäumend vor Ungeduld. Manchmal nahm sie sich noch am selben Tag einen anderen, der ebenfalls stolz davonstolzierte, aber sofort den Schwanz einzog, wenn sie ihn schräg ansah.
Wir kamen oft auf ihre Reize zu sprechen und wetteiferten verbal, wer ihr die größte Lust bereitet hatte. Die Wahrheit lag, wie wir alle wussten, eher in dem gleichmütigen Gesicht, mit dem sie am Fenster aufpasste, dass nicht unerwartet ein Störenfried auftauchte, während unser jugendliches Alter sich hinter ihrem gerade einmal bis zum Hintern hochgeschobenen Kleid auf der Suche nach jenem Schauer abmühte, der den Körper von den Zehen bis zu den Haaren durchläuft, den wir in Handarbeit herbeizuführen pflegten und der mit ihr immer schneller kam, als wir brauchten, um die Hose aufzuknöpfen, denn sie gestattete uns niemals, sie ganz auszuziehen. Dann musste man sich eilig wieder anziehen, wäh