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Neuerscheinungen 2014

Stand: 2020-02-01
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Jean Willi

Ödipus im Hier und Jetzt


Roman
2014. 247 S. 190 mm
Verlag/Jahr: VIDAL 2014
ISBN: 3-9524368-0-1 (3952436801)
Neue ISBN: 978-3-9524368-0-6 (9783952436806)

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Basel wird zum Ausgangspunkt einer Suche, die Philip auf eine griechische Insel verschlägt. Von dort treibt sie ihn übers Meer nach Mallorca in die Berge von Deià, wo Robert Graves die ewige Ruhe gefunden hat. In Genf sind der Flohmarkt auf der Plaine de Plainpalais und der unterirdische Zufluchtsort ehemaliger Tempelritter weitere Stationen seiner Nachforschungen, die am Ufer eines Waldsees bei Limburg a.d. Lahn ein dramatisches Ende finden. Das Ziel seiner Suche ist die Wahrheit die er besser nie gefunden hätte.
Fiona redete die ganze Zeit. Zündete sie eine Zigarette an, bewegten sich ihre Lippen. Blies sie Rauch aus, schwebten Worte aus ihrem Mund. Auch während sie einen Zug nahm, musste sie etwas sagen. Einzig das Kunststück, zwei Worte auf einmal auszusprechen, wollte ihr nicht gelingen, es sei denn, man berücksichtigte die Tatsache, dass, was sie sagte, mit dem, was sie dachte, kaum etwas zu tun hatte.
"Kaugummi", sagte sie gerade, "nichts als Kaugummi. Dabei sehen sie aus wie Bilder, die ein durchgedrehter Freak gemalt hat. Ein Ding klebt neben dem anderen."
"Du meinst, er kaut sie, bevor er sie benutzt?", fragte Nicole.
"Wie einer, der seine Pigmente mit Spucke anrührt. Da fliessen Körpersäfte mit hinein. Beuys hat mit Blut gemalt oh, hallo Bernd, das ist Nicole."
Bernd blieb vor dem Tisch stehen und lächelte verschwörerisch, als er Nicole die Hand gab.
"Sie macht die nächste Ausstellung", erklärte Fiona.
"Echt", sagte Bernd.
Er liess Nicoles Hand nur widerwillig los und suchte in ihren Augen jenes Schimmern, das schnellen Sex signalisierte. Nicoles Augen taten ihm diesen Gefallen, obwohl sie nicht im Traum daran dachte, mit einem dahergelaufenen Gigolo namens Bernd eine Nummer zu schieben. Sie hatte eine Art PR-Blick drauf, den sie immer einschaltete, wenn sie freundlich erscheinen und mögliche Bekanntschaften nicht von vornherein ausschliessen wollte. Immerhin war sie beruflich unterwegs. Nur Bernd kapierte das nicht. Er angelte sich einen Stuhl, quetschte sich neben sie und verströmte einen aus gleichen Teilen Rasierwasser, Weizenbier und Achselschweiss bestehenden Geruch, der ihm passend zu seinem Dreitagebart erschien. Ein Bouquet, dachte er, dem die Kleine sich nicht würde entziehen können.
Nicole war jetzt betrunken. Sie ahnte, es würde nicht mehr lange dauern, bis bei ihr der Punkt erreicht war, an dem es kein Zurück mehr gab. Bernd war nicht das Problem, das Drumherum war es, in dem sie versinken würde. Der Tanz auf dem Vulkan, den man ihr jedes Mal vor Augen führte, wenn sie Deià verliess. In gewisser Hinsicht unterschied er sich kaum von dem, der dort getanzt wurde, nur kam er ihr hier heftiger vor, brutaler und direkter, als litten die Menschen hier stärker. Denn und darüber gab es für Nicole vor allem bei fortgeschrittener Trunkenheit keinen Zweifel was an diesem Ort als überschäumende Lebensfreude daherkam, war in Wirklichkeit die Angst vor dem Tod.
Sie konnte zusehen, wie der Strudel sie mitriss, wie die Dämme brachen, an denen sie gebaut hatte, als sie die Pinienwälder durchstreift und unter silbernen Olivenbäumen gesessen hatte. Nicht dass die Bilder sich auflösten, sie wurden stärker, verklärten sich im Rauch dieser Kaschemme zu mystisch verbrämten Fragmenten einer Erinnerung, die mit jedem Drink zugleich ferner und näher rückten. Bernd begann zu leuchten.
Er sagte ihr die gleichen Dinge, die Millionen Männer im selben Augenblick anderen Frauen sagten, fragte die gleichen Fragen, hatte die ewig gleichen Einwände, selbst die Pausen waren gleich, die zwischen den Worten lauerten und nur dazu da waren, Eindruck zu schinden. Nicole durchschaute all das, und weil sie es durchschaute, gefiel es ihr. Je betrunkener sie wurde, umso heimischer fühlte sie sich, und mit jedem Glas wuchs ihr Verständnis für das, was hier ablief, für die Rolle, die Bernd spielte, und für die, die er ihr zugedacht hatte. Es hätte nicht viel gefehlt und Nicole wäre am nächsten Morgen in Bernds mässig stilvoll eingerichtetem Taubenschlag erwacht und hätte sich das indigoblaue Leintuch über den Schädel gezogen, um das grelle Licht eines Morgens, den sie mit zunehmendem Bewusstsein mehr und mehr verflucht hätte, nicht sehen zu müssen. Später hätte sie sich auf die Seite gedreht, vorsichtig ein Auge geöffnet und Teile ihrer Kleidung entdeckt, die neben einer leeren Flasche spanischem Sekt, einem silbernen Löffel und einigen Münzen auf einem Kelim lagen, an den sie sich nicht erinner