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Renate Leeb-Brandstetter
Neue Heimat! Ferne Heimat? Identitätsfindungsprozesse Migrantenjugendlicher im sozialen Milieu
Erstauflage. 2015. 96 S. 7 Abb. 220 mm
Verlag/Jahr: DIPLOMICA 2015
ISBN: 3-9593475-8-8 (3959347588)
Neue ISBN: 978-3-9593475-8-7 (9783959347587)
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Migration bedeutet für die Betroffenen einen Bruch in ihrer Lebensbiographie. Einwanderungsgesellschaften stehen Zuwanderern und deren Familien nicht gerade offen gegenüber. In diesem Buch geht es schwerpunktmäßig um Migrantenjugendliche der 2. und 3. Generation und deren soziale Lage. Wie kann Jugendlichen dieser Drahtseilakt - eine gute Entwicklung der eigenen Identität bei geichzeitiger Diskriminierung und Unerwünschtheit - gelingen? Das Buch gibt Auskunft über ein psychologisches Verständnis von Identität (Erikson) über Goffmanns Ausführungen zu Stigmata sowie über allgemeine strukturelle Rahmenbedingungen für Migrantenjugendliche. In einer explorativen Studie wird das soziale Umfeld der jungen Menschen untersucht und diskutiert. Als ein handlungstheoretischer Ansatz für wertschätzenden Umgang mit der Diversität wird ein Modell der interkulturellen Kompetenz vorgestellt.
Textprobe:
Kapitel 2.4.1 Die Bedeutung der Sprache:
[...] Sprache ist ein symbolisches System, das in der Lage ist, Kultur zu vermitteln. Weiters determiniert die Sprache unser Denken, beeinflusst unser Handeln, unsere Emotionen und baut Beziehungen auf. Der Primärsprachenerwerb stellt beim Kind entscheidende Weichen für die spätere Entwicklung im Spracherwerb. Sprachen verändern sich, sie sind lebendig. Das Türkisch der Türken in Österreich ist nicht mehr identisch mit dem Türkisch der alten Heimat. Die Sprachen der Migranten stehen unter einem enormen Einfluss der Mehrheitssprache des Aufnahmelandes.
Die Muttersprache oben genannter Migrantenkindern hat im öffentlichen Raum wenig Prestige und wird dadurch in die Familie zurückgedrängt. Das Erlernen der Umgangssprache findet im privaten Raum statt. Besonders auffällig ist bei der 2. Generation, dass die Eltern sehr wenig Deutsch können, jedoch (gebrochenes) Deutsch mit den Kindern sprechen, denn die Meinung hat sich etabliert, dass dies besser sei für den Zweitspracherwerb der Kinder. So kommt es einerseits zum Verlust der Muttersprache und andererseits lernen die Kinder fehlerhaftes Deutsch,
Erst mit dem Eintritt in öffentliche Bildungsorganisationen (Kindergarten, Schule) wird die deutsche Sprache in Wort und Schrift erlernt. Für den Zweitsprachenerwerb wichtig ist die Beherrschung der Muttersprache. Die Sprache in der Familie ist ein wichtiges Indiz für die Herkunft, den Freundeskreis, aber auch um sich von der Gesellschaft abzugrenzen. Die mitgebrachte Sprache der Eltern fungiert als Medium des Ausdrucks einer affektiven Beziehung. Über Sprache werden emotionale Inhalte (z.B. Freude, Schimpfen, Disziplinieren) vermittelt (vgl. Binder, 2003 S.142).
Die Kenntnisse der Herkunftssprache bewegen sich in der zweiten Generation auf einem unterschiedlichen Niveau. Oft wird von den Eltern nur eine Dialektform weitergegeben (siehe weiter unten), welche zu einer Mischform von Muttersprache und Zweitsprache führt (vgl. Ornig 2006, S.273f.). Die mangelnden Sprachfähigkeiten sind bei den Besuchen im Herkunftsland der Eltern/Großeltern ersichtlich. "Jetzt bin ich hier in Österreich der Türk, aber komme ich heim (gemeint ist die Türkei, Anm. d. V.) sagen sie der Ausländer kommt, weil sie mich nicht richtig verstehen."Jugendliche bedienen sich häufig einer neuen Form der Sprache, indem verschiedene Sprachen gemischt werden. Das Code-Mixing (z.B. wird ein deutsches Wort im türkischen Satz eingebaut) oder das Code-Switching13 ist Standard-Repertoire von Jugendlichen, unterliegt sozialen Regeln und ist abhängig vom jeweiligen sozialen Stil. So grenzen sich Jugendliche bewusst von der Mehrheitsgesellschaft und anderen Sprachvarianten ab. Das Leben zwischen den Kulturen und Sprachen muss nicht unbedingt ein Problem für sie sein, sondern diese Mischsprache ist Teil ihrer Identität (vgl. Jeuk 2006, S.89ff.).
Es muss jedoch aufmerksam gemacht werden, dass Migranten, obwohl sie Deutsch nicht notwendigerweise als Umgangssprache betrachten, Deutsch - in verschiedensten Differenzierungen - können. Dieser Anteil ist bei den Migrantenjugendlichen, häufig in der zweiten Generation, am höchsten (vgl. Simonitsch, Biffl 2007, S.38).
Wichtig für das Erlernen der deutschen Sprache ist das Einreisealter in das Aufnahmeland und damit verbunden die frühestmögliche Sozialisation über die Sprache.
Kontroversielle Theorien über den Spracherwerb:
Ob der Sprachlernprozess von Migrantenkindern glückt, untypisch oder verzögert abläuft, ist u.a. auch vom ehestmöglichen Eintritt in Bildungseinrichtungen der zu lernenden Sprache abhängig. Im Kindergarten wird nicht nur die Sprache des Aufnahmelandes erlernt, ebenso findet die Vermittlung von kulturspezifischen Verhaltensweisen statt. Ein früher Eintritt in diese Sozialisationsinstanzen ermöglicht daher auch den Kindern im spielerischen Umgang das Erlernen sozialer, kultureller und sprachbezogener Kompetenzen.
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