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Ludwik Hering, Ludmila Murawska-Péju, Lothar Quinkenstein (Beteiligte)

Spuren


Drei Erzählingen
Mitarbeit: Murawska-Péju, Ludmila; Übersetzung: Quinkenstein, Lothar
2016. 128 S. 22 cm
Verlag/Jahr: EDITION FOTOTAPETA 2016
ISBN: 3-940524-53-0 (3940524530)
Neue ISBN: 978-3-940524-53-9 (9783940524539)

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Herings drei Erzählungen aus den Jahren der deutschen Besatzung Polens galten anderen polnischen Schriftstellern als besonders und bedeutend in ihrer Darstellung der Alltäglichkeit der Vernichtung. In der Erzählung über das "Schlupfloch" in der Ghettomauer, das als Schmuggelweg diente, schreibt Hering: "Das Ghetto lebte von
Warschau - und Warschau lebte vom Ghetto. Jeder zog seinen Nutzen daraus, jene reinen Seelen ausgenommen, die ihren Nutzen zogen, ohne es wahrhaben zu wollen."
Ein Unbekannter
Tadeusz Sobolewski

Ludwik Hering (1908-1984) ist immer noch ein Unbekannter. Er selbst hatte die Entscheidung getroffen, in den Schatten zu treten. Ausgestattet mit einem großen Talent für die Literatur wie für die Malerei, für die Bildhauerei wie fürs Theater, aber ebenso mit einem überaus kritischen Geist, fand Hering Erfüllung in der Rolle des "Geburtshelfers" für fremde Begabungen.

Józef Czapski schrieb über ihn: "Ich möchte nicht so kühn sein, ihn meinen Schüler zu nennen, denn ich selbst verdankte ihm seinerzeit meine eigenen Vorstellungen von der Malerei." Die Malerin Ludmila Murawska, die Nichte Ludwik Herings, sieht sich als Künstlerin durch ihn geformt und "erschaffen". Und selbstverständlich Miron Bialoszewski! Hering war sein literarischer Guru. Der dem 18jährigen Miron den Unterschied zwischen wahrer Poesie und "falscher Aufgeblasenheit" vor Augen führte. Später war Hering Regisseur, Autor, Kostüm- und Bühnenbildner für das "Eigene Theater", das Murawska und Bialoszewski in der Wohnung am Warschauer Dabrowski-Platz einrichteten.

Ich hatte das Glück, ihn kennen lernen zu dürfen. Seine Monologe - ein Theater der Gesten, dem zu folgen einiges an Mühe kostete. So viel hatte Hering zu sagen, und so vieles beließ er in Andeutungen, um die Worte nicht über Gebühr zu strapazieren oder abzunutzen. Darin drückte sich seine kluge Demut gegenüber der Wirklichkeit aus, sein scharfes Bewusstsein für die Kunst, der Geistesblitz seines Genies.

Seine drei Erzählungen aus den Jahren der deutschen Besatzung Polens galten Gustaw Herling-Grudzinski als besonders bedeutsam in ihrer Darstellung der Alltäglichkeit der Vernichtung. In der Erzählung über das "Schlupfloch" in der Ghettomauer, das als Schmuggelweg diente, schreibt Hering: "Das Ghetto lebte von Warschau - und Warschau lebte vom Ghetto. Jeder zog seinen Nutzen daraus, außer jenen reinen Seelen, die ihren Nutzen zogen, ohne es wissen zu wollen." Die schockierenden Schilderungen menschlicher Verhaltensweisen sind unmittelbar der Realität entnommen. Hering arbeitete als Nachtwächter in einer Fabrik, die direkt an der Ghettomauer lag. Er selbst sprach nicht darüber, aber es ist bekannt, dass er Menschen aus dem Ghetto auf die "arische Seite" schmuggelte. Und er gab - wie in der Erzählung "Spuren" beschrieben - jüdischen Kindern in seiner Nachtwächterstube zu essen, half diesen elend verlorenen "Katzen" (wie sie im Jargon der Straße genannt wurden), die sich ins "arische" Warschau stahlen, auf der Suche nach Lebensmitteln. Während des Warschauer Aufstands 1944 brachte Hering seine Familie durch die Hölle des Sammellagers "Zieleniak".

Bislang wurde Hering immer im Zusammenhang mit anderen Schriftstellern und Künstlern erwähnt - doch hat nicht vor allem er selbst den Titel des "Eigenen Künstlers" verdient? Dass seine Persönlichkeit nun mit der erstmals in Buchform publizierten Prosa aus dem Schatten tritt, ist den Bemühungen Ludmila Murawskas zu verdanken. Erwähnen sollte man auch, dass Miron Bialoszewski seinen Meister im "Geheimen Tagebuch" porträtiert hat, das 2012 publiziert wurde. Erhellend könnte die Korrespondenz sein, die Ludwik Hering und Józef Czapski in den ersten Nachkriegsjahren führten. Dieser Briefwechsel wartet aber noch auf seine Edition.