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Neuerscheinungen 2017

Stand: 2020-02-01
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Dana Polz

Der Schmierfink


Roman
2017. 276 S. 215 mm
Verlag/Jahr: EDITION FEDERLEICHT 2017
ISBN: 3-946112-09-9 (3946112099)
Neue ISBN: 978-3-946112-09-9 (9783946112099)

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Vom Vater misshandelt. Von den Pflegeeltern abgeschoben. Schon früh wird Linus Lopez verhaltensauffällig. Als man ihn auf ein renommiertes Internat schickt, scheint sein Leben eine positive Wendung zu erfahren. Doch Linus ahnt schon sehr bald, dass das wahre Grauen gerade erst begonnen hat ...
DER SCHMIERFINK erzählt die Geschichte eines Heranwachsenden, der immer tiefer im Sumpf aus Brutalität und Machtmissbrauch zu versinken droht. Zynisch wie schonungslos schildert der Protagonist seine Erlebnisse und nimmt den Leser mit auf eine Reise, die ihn ohne Umwege in die Untiefen menschlicher Abgründe führt - eine bizarre Odyssee der Gewalt beginnt.
I
DER APFEL UND SEIN STAMM
ICH WAR FÜNFZEHN, siebzehn vielleicht, da habe ich das erste Mal Blut gepisst. Wirklich gepisst, muss man sagen. In Strömen entquoll es meinem besten Stück, vollkommen überraschend; ich fürchtete mich nicht, ich weiß, es hat mir keine Angst gemacht. Hätte es das tun sollen? Durchaus. Blut zu pissen ist generell nämlich kein gutes Zeichen. Sobald das rote Scheißzeug aus irgendeiner Körperöffnung kommt, ist Panik angesagt. Und wieso? Handelt sich dabei lediglich um Blut. Rotes, stinkendes, übel schmeckendes Scheißzeug. Sobald wir damit in Berührung kommen, es sehen, es riechen, es schmecken, drehen wir am Rad. Dabei sind wir voll davon. Unzählige Liter pumpt ein Klumpen Fleisch in der Brust ununterbrochen durch unseren Körper. Und wir sagen: Igittigitt. Das ganze Scheißzeug ist in uns, und wir wollen damit nichts zu tun haben. Mal wieder typisch.
Übrigens habe ich Sie gerade angelogen. Natürlich hat es mir Angst gemacht, Blut zu pissen. Mich ist es so derart panisch überkommen, ich habe gewimmert und geschwitzt und gezittert - und wäre ich nicht ohnehin dabei gewesen, hätte ich mich wohl eingenässt -, dass ich mich, nachdem ich ein paar grauenvolle Minuten ins Klo gestarrt hatte, lauthals erbrach. Die Kotze hat den rot gefärbten Urin verdeckt - immerhin etwas. Danach habe ich mich besser gefühlt. Im Verdrängen ist man gut. Man sucht die Schuld gern bei anderen. Die Polizei sucht die Schuld bei dem Täter, der Täter sucht die Schuld bei dem Opfer, das Opfer - sucht gar keine Schuld bei irgendwem, zumindest, wenn es tot ist, aber die Angehörigen des Opfers wiederum suchen daraufhin die Schuld bei der Polizei, und so schließt sich der Kreis. Alles geht auf Anfang.
An meinem Anfang standen Jannis und Petra. Jannis war Steuerberater oder etwas in der Art, seriös, stets umgeben von einem extravaganten Hauch pedantischer Kleinbürgerlichkeit. Mehr lässt sich großartig nicht sagen über ihn, denn Reden lag ihm nicht sonderlich.
Jannis, an sich kein schlechter Mensch, beging nur einen einzigen, unwiderruflichen Fehler: Er heiratete. Petra. Über Petra weiß ich fast so wenig zu erzählen wie über Jannis, denn wenn sie nicht gerade zu Hause war, um mit Jannis um Geld zu streiten, trieb sie sich irgendwo in der großen, weiten Welt mit ihren Drogenfreunden herum. Meinen Informationen nach hatte Petra sehr viele Drogenfreunde, mit denen sie sehr, sehr viele Drogen nahm. Nächtelang ließ sie sich nicht blicken. Kam nicht nach Hause und wenn, hatte sie wieder in irgendetwas investiert. Petra investierte sehr viel und sehr gerne, am liebsten in abgestandene, schmutzige Spielautomaten. Diese Tatsache versetzte Jannis weniger in Begeisterung. Ich weiß nicht viel über ihn. Aber ich weiß, dass er sein Geld liebte. Mehr als Petra, mehr als irgendwen. Es schien einen Zeitpunkt in Jannis mir beinahe völlig unbekanntem Leben gegeben zu haben, zu diesem er Geld zum Zentrum seines von außen recht nüchtern und kalt erscheinenden Kosmos erklärt hatte, und angesichts dieses Umstandes ist sein Ärger im Nachhinein und mit ein bisschen Distanz zu den Geschehnissen wohl verständlich. Dahingehend, dass sie aus dem Moment einer Laune heraus jene Passion seines Daseins aus dem Fenster schmiss, Geld, Geld, Geld, Geld, Geld, das er Tag für Tag für Tag erwirtschaftete. Ich gehe nicht davon aus, dass er Petra nicht mochte. Sie bestand nur eben nicht aus Metall oder Papier, man konnte sie gegen nichts eintauschen, man konnte ihren Wert nicht bestimmen. Und Jannis besaß da eben Prioritäten. Seine Laune erreichte speziell in den Zeiten ihren Höhepunkt, in denen Petra sich über Wochen im Schlafzimmer einsperrte, in denen sie trank, in denen sie Frühstück, Mittag- und Abendessen durch Tabletten und Drogen ersetzte. Ein paar Jahre ging das ganz gut. Dann wurde ich dreizehn, und es ist ausgeartet. Es ist, lassen Sie mich diesen Begriff verwenden, eskaliert.