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Tanja Bogusz

Experimentalismus und Soziologie


Von der Krisen- zur Erfahrungswissenschaft. Habilitationsschrift
2018. 474 S. 213 mm
Verlag/Jahr: CAMPUS VERLAG 2018
ISBN: 3-593-50936-9 (3593509369)
Neue ISBN: 978-3-593-50936-5 (9783593509365)

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Die Soziologie muss ihre gesellschaftliche Funktion, ihre interdisziplinäre Anschlussfähigkeit und ihr Interventionsspektrum im Kontext der aktuellen gesellschaftlichen Transformationsprozesse neu bestimmen. "Soziologischer Experimentalismus", verstanden als eine Umstellung des Faches von der Krisen- zur Erfahrungswissenschaft, ist eine Antwort auf diese Herausforderung. Experiment und Erfahrung gehören zusammen. Als Erfahrungswissenschaft wird Soziologie damit zu einer Praxis, die Erfahrungen nicht nur beobachtet, sondern zur Voraussetzung jeder Art von Erkenntnis macht. Die Zukunft des soziologischen Experimentalismus liegt folglich in der Aufgabe, attraktive Laboratorien für entsprechende Kooperationen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft dauerhaft bereit zu stellen.
Einleitung: Experimentalismus - ein alter Name für einige neue Denkweisen
Der Experimentalismus ist alt und erfindet sich immer wieder neu. Zwischen wissenschaftlicher Neugier und Objektivitätsstreben, der kulturellen Faszination für abweichende Lebensformen und politischer Krisenrhetorik steht er für vielfältige Konjunkturen. Bereits 1927 hatte der Philosoph John Dewey den Begriff des "?demokratischen Experimentalismus?" geprägt. Für ihn beruhte Erkenntnis auf Erfahrungen, die aus Krisenmomenten hervorgehen. Dieses Buch fragt, welche Schlüsse aus Deweys Sozialphilosophie für die Gegenwart gezogen werden können. Es zeigt, wie ein soziologischer Experimentalismus den Weg von einer Krisen- zu einer Erfahrungswissenschaft bereitet, die Ungewissheit als notwendigen Ausgangspunkt jeder forschenden Praxis versteht.
Ende der 1950er Jahre tauchte das Experiment in besonders erhöhter Frequenz in Politik und Medien auf. "?Keine Experimente?!?" rief Konrad Adenauer 1957 einer verunsicherten westdeutschen Bevölkerung zu. Das ungewollte Experiment wurde mit der Wahl der SPD identifiziert, deren Ostpolitik in der Phase des Kalten Krieges aus Sicht der Christdemokraten zu einer politischen Destabilisierung der Bundesrepublik führen würde. Der Imperativ machte das Experiment zum politischen Gegner von normativen Setzungen, die Gewissheit und Stabilität versprachen. Nach einer Phase der relativen Rezession schossen die Koeffizienten Ende der 1980er Jahre erneut in die Höhe und bleiben seit den 1990er Jahren unverändert hoch. Mit dem Fall der Berliner Mauer wurde zweiunddreißig Jahre später das "?realsozialistische Experiment?" ein für allemal für gescheitert erklärt und neue Unsicherheiten in den Dienst des Experiments gestellt. Der Super-GAU, die Reaktorkatastrophe des Kernkraftwerkes im sowjetischen Tschernobyl 1986 lenkte die Aufmerksamkeit auf die lebensbedrohlichen Konsequenzen des wissenschaftlichen Fortschritts und damit auf Experimentalanordnungen ganz anderer Qualität. Ihre unerwünschten Nebenfolgen warfen ein alarmierendes Licht auf die Grenzen des Wissens und die unvorhersehbaren Effekte des Nichtwissens, das jedem Experiment innewohnt. Weitere Technik- und Umweltkatastrophen machten Schlagzeilen, auf die, wie zuletzt im Fall des Reaktorunfalls im japanischen Fukushima 2011, auch eine kurzfristige Neuorientierung politischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Programmatiken erfolgte. Ergänzend zu diesen an Technikkatastrophen orientierten Debatten über den Laborcharakter der Industriegesellschaften wurden die Verwerfungen des Experiments in Kontext der Kolonialgeschichte offenkundig. So bemerken Andreas Eckert und Albert Wirz: "?Schließlich dienten überseeische Beziehungen auch als Laboratorien der Moderne, in denen sich Missionare, Lehrer und Ärzte frei von Eingrenzungen der europäischen Gesellschaftsordnung ´?experimentell?´ zu betätigen vermochten, wobei die Ergebnisse dieser Experimente häufig wiederum ganz konkrete Effekte für die Metropole haben konnten.?"
Im Gegensatz zu seiner vergleichsweise fatalen Geschichte fällt heute eine durchgängig positive Deutung des Experiments in Kunst und Kultur auf. Kaum ein Medienbeitrag, der nicht den experimentellen Charakter künstlerischer Produktionsformen lobend hervorhebt; kaum eine künstlerische Selbstdarstellung, die nicht ihre unabgeschlossene, abenteuerliche, riskierte Handlungsorientierung betont, da nur diese, so die unterschwellige These, schließlich Neues zu erfinden vermag. Kritiker einer "?versteinerten?" Bürokratie- und Dienstleistungsgesellschaft heben ihre Praktiken der symbolischen Grenzüberschreitung hervor, die, wie Pierre Bourdieu das einst genannt hat, als "?Institutionalisierung der Anomie?" längst als traditionsreicher Traditionsbruch etabliert ist. Der kulturalisierte Experimentalismus erinnert damit zugleich an die Ausgangsthese des Kulturbegriffes selbst: Kultur als vom Menschen gelenkte Umwelteinwirkung, als eine P