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Wolfgang Martin Roth

Die Neinstimme von Altaussee


2. Aufl. 2018. 44 S. 21 cm
Verlag/Jahr: SONDERZAHL 2018
ISBN: 3-85449-469-6 (3854494696)
Neue ISBN: 978-3-85449-469-0 (9783854494690)

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Altaussee erfreut sich als Luftkurort bei in- und ausländischen Touristen großer Beliebtheit - reizvoll am Fuße des Losers gelegen, für so manche aber beunruhigend mit seiner vom Toten Gebirge begrenzten Kessellage. Auch das Salzbergwerk, die größte Salzabbaustätte Österreichs, ist nicht nur ein prestigeträchtiger Ort, sondern mit einer anrüchigen Vergangenheit belastet: war es doch das größte Kunstdepot für NS-Raubkunst aus ganz Europa.

Vor dieser Kulisse "am Ende der Welt" setzt Wolfgang Martin Roth seine Erzählung in Gang. Der Ich-Erzähler bezieht kurz nach seiner Pensionierung gemeinsam mit seiner Frau Karin in Altaussee ein Haus, das ihr durch eine Erbschaft zugefallen ist. Karin
beginnt sich mit der Geschichte des Ortes zu beschäftigen und weckt nach anfänglicher Abwehr
mit einer Bemerkung doch das Interesse ihres Mannes. Bei der Volksabstimmung zum "Anschluss" Österreichs ans Deutsche Reich am 10. April 1938 gab es in Altaussee
eine einzige Neinstimme, die der Volksgemeinschaft einen Strich durch ihre 100-Prozent-Rechnung machte: Maria Haim, eine junge Frau, hatte offensichtlich eine
eigene Auf fassung darüber, "was sie ihrem Volk, was sie ihrer Überzeugung schuldig war".

Der Ich-Erzähler erinnert sich schlagartig, dass er dieser "Neinstimme" vor vielen Jahren, als er als Junge mit seinen Eltern hier auf Urlaub war, einmal bei einem
Spaziergang begegnet war. Jetzt lässt ihm die Geschichte einer bemerkenswerten Zivilcourage nicht mehr los. Er beginnt zu recherchieren, besucht in Wien die Nationalbibliothek, sichtet Zeitungen von damals, "sogar die Steirische Alpenpost hatte es damals schon gegeben". In der Parteichronik der NSDAP von Altaussee findet er folgende Eintragung: "Wie die Nachforschungen ergaben, wurde diese eine Neinstimme zum größten Verdruß der ganzen Gemeinde von einer schwachsinnigen Bauerndirne abgegeben, die damit in das schöne Abstimmungsergebnis einen nicht
mehr gut zu machenden Schönheitsfehler brachte."

Er macht sich auf die Suche nach Personen, die Maria Haim noch persönlich gekannt haben, und erfährt, "sie sei etwas verschlossen und eigen gewesen. Eine
unscheinbare Person. Vor allem sei sie sehr katholisch gewesen." - Dieser Frau hat Wolfgang Martin Roth hat mit seiner Erzählung "Die Neinstimme von Altaussee" ein
literarisches Denkmal gesetzt. Am 29. Januar 2017 hätte Maria Haim ihren 100. Geburtstag gefeiert.
Ich habe sie gesehen. Die Neinstimme. Ein einziges Mal. Das war in den Sechzigerjahren. Ich war noch sehr jung und verbrachte die Sommerferien
mit meinen Eltern und der großen Schwester in Altaussee im steirischen Salzkammergut. Wir hatten ein schönes großes Zimmer mit hoher Decke und einem Kachelofen bezogen, es regnete ständig, und mein Vater heizte am Morgen mit großen Holzscheiten an, so gab es eine wohlige Wärme den ganzen Tag über. Während wir die Eltern trotz des Regens großmütig ihre Wande rungen unternehmen ließen, lagen wir auf dem Sofa. Meine Schwester langweilte sich und las mir
stundenlang aus "Durch die Wüste" vor, meinem ersten Karl May. Am Nachmittag hörte es auf zu regnen, wir hatten also keine Ausrede mehr, mussten die Eltern auf einem Spaziergang um den See begleiten. Unterwegs kamen uns zwei Frauen entgegen. Der Vater stieß die Mutter an.
"Schau dir die Frau im Dirndl an."
Die Frau mit einem hellen Kopftuch und Dirndl ging eingehakt neben einer Frau in grauer Peleri ne. Der Vater grüßte die Frauen, sie grüßten zurück. Die Frau im Dirndl war schmal und un scheinbar. Als sie vorbei waren, fragte die Mutter.
"Was ist mit ihr?"
"Das ist die Neinstimme."
"Neinstimme?"
"Sie heißt seit damals so."
"Damals?"
"Na, damals."
"Ach so."