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Neuerscheinungen 2018

Stand: 2020-02-01
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Esther Grau

Die wundersame Erkundung der Farbe Moll


Roman
2018. 144 S. 19 cm
Verlag/Jahr: ACABUS 2018
ISBN: 3-86282-593-0 (3862825930)
Neue ISBN: 978-3-86282-593-6 (9783862825936)

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"Hatte sie sich verrannt? Das Fatale an Holzwegen war ja, dass sie lange nach Wald und Spaziergang aussahen - bis sie mit einem Mal im Nichts endeten."

In einer schlaflosen Nacht begegnen sich in München zwei ratlose Berater. Mona steckt als Berufsberaterin in einer Sackgasse und Consultant Ben droht ein Burn-out. Seltsame Träume erleben beide. Zusammen folgen sie den Zeichen, die sie quer durch die Schweiz führen. Auf den Spuren ihrer Träume, alter Wunden und der Gemälde Ferdinand Hodlers suchen sie, was wirklich für sie zählt.

Ein Roman über den Mut zum Aufbruch, den Zauber der Kunst und die Magie neuer Wege.
Das Nachtgespinst hing zerrissen zwischen den Windungen ihrer Erinnerung. Mona massierte sich die Schläfen. Der Traum lag ihr auf der Zunge, noch nicht ganz vom Vergessen verschluckt. Ein dunkelgelockter Mann ... eine offene Tür ... eindringliche Augen ... Er stand da und sah ihr beim Vergessen zu.
Mit Daumen und Zeigefinger kniff sich Mona in die Nasenwurzel, um den Druck dahinter zu lösen, den sie dem geizigen Sandmann verdankte. Gestern wartete sie lange, bis er endlich mit ihr ins Bett ging und seine nächtlichen Pflichten erfüllte.
Müde sah Mona aus dem Fenster ihres Büros. Ihr Blick dümpelte draußen im Regen. Die Tropfen trommelten den Grundton des Sommers in Münchner Pfützen. Drinnen immerhin wohltemperiertes Klima, im Flur der Klang geschäftiger Schritte und eiliger Vorgänge. Kollegen rauschten an immer offenen Türen vorbei.
Mona machte einen guten Job. Sie war Herrin über ein Heer von Broschüren, die sie jedem mit auf den Weg gab, der sie um Rat anging, um beruflich voranzukommen. Die Büros ergaben ein Quadrat auf drei Etagen. Alle schauten einander in die Fenster. Innen bedeckten die Trennwände kaum die Scham, ab Hüfthöhe waren sie Glas. Im Stehen übersah Mona die Büroflucht ihrer ganzen Etage.
Gerade kam ein besonders blasses Mädchen auf Mona zu. Stumm setzte sie sich ihr gegenüber und sah Mona aus großen Augen an.
"Hallo, wie kann ich helfen?", fragte Mona. Sie vermied das Sie, denn das Mädchen wirkte jung. Vielleicht halb so alt wie sie - und halb so schmal.
"Ich möchte studieren", erklärte die Blasse zögernd, "aber ich weiß nicht was."
"Für Berufsberatung sind wir da", sagte Mona munter, obwohl ihr schwante, dass sie einen der schweren Fälle vor sich hatte: eine ganz und gar Ahnungslose, ohne eine Idee von sich. "In welche Richtung gehen deine Interessen?"
"Sie sind vielseitig", sagte das Mädchen vage. "Ich kann mir eine Menge vorstellen."
"Gut, dann erst einmal einen Überblick."
Mona spulte die eingeübte Rede ab. Sie sprach über Aus- und Fortbildung, Chancen und Perspektiven. Dabei behielt sie das Mädchen scharf im Auge, doch das blasse Gesicht blieb verschlossen. Mona schwenkte den Bauchladen der Berufe, in dem sie Leckerbissen offerierte, Sahneschnitten anpries und von großen Torten sprach. Abends würde ihr wieder übel sein. Vielleicht, weil sie etwas ahnte, was die angehende Studentin noch nicht wusste: dass sie bald in ihrem Beruf aufgehen würde - und dass das nicht nur etwas Gutes war.
Mona stockte.
Ausgerechnet die Sprechpause gewann die Aufmerksamkeit der Blassen. Ihr Oberkörper bog sich leicht nach vorn.
"Was spricht dich an?", hakte Mona nach.
"Ich weiß nicht. Das ist so viel. Was kann man denn damit machen?"
Mona wiederholte die Möglichkeiten. "Du musst nur wissen, wer du sein willst", schloss sie leichthin.
Der Blick der Blassen wurde leer.
"Das wusste ich nicht, dass man die schwerste Frage gleich am Anfang beantworten muss."
Das blasse Mädchen verabschiedete sich mit laschem Händedruck und verließ Monas Büro, ohne eine der Broschüren mitzunehmen. Mona schob die Hochglanzprospekte mit den schwer bearbeiteten Bildern fröhlicher Zukünfte auf ihrem Schreibtisch zusammen. Glatte Gesichter strahlten sie mit blendend weißen Zähnen an. Den unberührten Broschüren entströmte ein druckfrischer Duft, der sich erst nach einer Weile im neutralen Geruch des Büros verlieren würde. Beim Sortieren wog der Stapel schwer in Monas Hand. Sie legte ihn beiseite. Doch fing er auch auf der hintersten Kante des Aktenschranks ihren Blick immer wieder ein. Die eigenen Worte hallten in ihr wie ein Echo nach: Du musst nur wissen, wer du sein willst.
Monas Stirn glühte und kündigte einen drückenden Kopfschmerz an. Womöglich hatte sie sich bei dieser Blassen etwas eingefangen. Sie versuchte sich Linderung mit dem Gedanken zu verschaffen, heute früher nach Hause zu gehen. Noch während sie auf die Wirksamkeit dieser Idee wartete, verlängerte sich ihr