Neuerscheinungen 2018Stand: 2020-02-01 |
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Wolfgang Weihe
Multiple Sklerose
Eine Einführung
6., überarb. Aufl. 2018. 338 S. 50. 212 mm
Verlag/Jahr: CARUS (C. G.); BAD ZWESTEN 2018
ISBN: 3-933378-08-7 (3933378087)
Neue ISBN: 978-3-933378-08-8 (9783933378088)
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Einleitung
Anlass zu diesem Buch gab ein Gespräch, zu dem es Anfang der 90er Jahre zufällig in einem Bahnhof kam. Das war kurz vor der Einführung der Beta-Interferone in die MS-Therapie. Auf Einladung einer MS-Gruppe hatte ich in F... einen Vortrag gehalten, die Diskussion danach war eher unerfreulich gewesen, und zu allem Überfluss war mir dann auch noch der Zug vor der Nase weggefahren. Ich hatte zwei Stunden Aufenthalt und setzte mich in dem trostlosen Bahnhofsrestaurant an den letzten freien Tisch.
Als ich gerade ein Bier bestellt hatte, fragte mich eine sympathische Stimme, ob noch ein Platz frei sei. Sie gehörte zu einer jungen Dame, die ihren Freund in Berlin besuchen wollte und ebenfalls den Zug verpasst hatte. Wir plauderten miteinander, um uns die Zeit zu vertreiben, und natürlich fragte sie mich auch, was mich hierher verschlagen hätte. Als ich ihr von dem misslungenen Vortrag erzählte, schaute sie mich überrascht an und verriet mir dann etwas zögernd, dass sie selbst an MS leide.
Das überraschte mich, denn sie machte auf mich einen völlig gesunden Eindruck. Tatsächlich war sie aber bereits seit fünf Jahren erkrankt und hatte zwischenzeitlich insgesamt drei Schübe erlitten, die sich jeweils wieder vollständig zurückgebildet hatten. Sie war ein fröhlicher und unkomplizierter Mensch, und plauderte unbefangen über die Erfahrungen, die sie mit ihrer Krankheit gemacht hatte.
"Wie man mich damals aufgeklärt hat, vergesse ich nie", sagte sie. "Ich sehe die Szene noch genau vor mir, wie der Chefarzt mit einem ganzen Rattenschwanz von Ärzten in mein Zimmer zur Visite kam. Erst hat er mich mit einer anderen Patientin verwechselt und mir eröffnet, dass die Gewebeprobe leider bösartig gewesen sei. Als ich ihm sagte, dass es sich um einen Irrtum handeln müsse, denn man habe bei mir keine Gewebeprobe, sondern Rückenmarkswasser entnommen, hat er der Stationsschwester einen bösen Blick zugeworfen, als ob es ihre Schuld sei. Schließlich hatte er das richtige Krankenblatt in der Hand und teilte mir mit, im Rückenmarkswasser seien eindeutige Entzündungszeichen gefunden worden und somit sei an der Diagnose einer MS kein Zweifel mehr möglich.
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ob Krebs oder MS, das war für mich dasselbe. Obwohl ich ja nicht viel Ahnung hatte, war mir eins klar: Ich war von einer unheilbaren, heimtückischen Krankheit befallen worden und würde über kurz oder lang im Rollstuhl landen. Es dauerte einige Zeit, bis ich mich etwas gefasst hatte, aber da waren die Ärzte schon am Nachbarbett.
Auch später hielt es niemand für nötig, mit mir zu sprechen. Bei der Entlassung sagte mir ein junger Assistenzarzt auf meine Frage, was ich denn tun könne: "Eigentlich nichts. Aber vielleicht ist es ganz gut, wenn Sie ein paar Vitamine einnehmen." Ich fühlte mich völlig allein gelassen."
"Und Ihr Hausarzt?"
"Dem war die Krankheit ebenfalls unheimlich. Man merkte ihm deutlich an, dass er nichts damit zu tun haben wollte. Sein Kommentar war, nichts werde so heiß gegessen, wie es gekocht werde, und manchmal verlaufe die Erkrankung auch ganz langsam."
"Sind Sie nicht zu einem Nervenarzt gegangen?"
"Doch! Aber der war besonders schlimm.. Es handelte sich um einen hageren gebeugten Mann, der so leise sprach, dass ich ihn kaum verstand. Nein, an der Diagnose sei kein Zweifel, sagte er mit gramerfüllter Stimme. Wie es weiter gehe? Das wisse er nicht. Der Verlauf sei unberechenbar, es gäbe Patienten, die seien fünf, zehn, manchmal sogar fünfzehn Jahre nach der Diagnosestellung noch gehfähig. Machen könne man nicht viel. Im Schub solle man sich mit Cortison behandeln lassen, und wenn die Schübe zu häufig würden, gebe es ein mildes Krebsmittel namens Imurek©, das manchmal ein wenig helfe. Alles andere sei Humbug und fauler Zauber. Dabei seufzte er tief und entließ mich."
"Und getröstet hat Sie niemand?"
"Nein. Viele wollten mir ihr Mitgefühl zeigen, aber sie wussten nicht recht wie.