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Neuerscheinungen 2018

Stand: 2020-02-01
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Irakli Charkviani

Dahinschwimmen


Aus dem Leben eines Königs
2018. 200 S. 21 cm
Verlag/Jahr: DAGYELI 2018
ISBN: 3-935597-93-2 (3935597932)
Neue ISBN: 978-3-935597-93-7 (9783935597937)

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In seinem autobiographischen Roman erzählt Charkviani subjektiv wie beispielhaft die Geschichte der "Generation Gagarin", die unter dem Stillstand in der Sowjetunion litt, sich in Musik und Drogen flüchtete, und für die die Ära Gorbatschow zu spät kam. Seine Jugendfreunde scheitern tragisch und tödlich, er steigt zum Rockstar auf und begreift sich doch ebenfalls als Gescheiterter. Parallel erscheint sein Alter Ego, Rumi aus Kabul, der einen sowjetischen Soldaten erschießt und sich in einem Flugzeug wiederfindet, das er in die Luft sprengen soll. Rumi ist ein Wiedergänger des mystischen Poeten Mevlana
Dshelaleddin Rumi, der aus dem Verlust seines Geliebten seine unsterbliche Poesie schöpft. Durch den Roman irrlichtert ein koboldhafter Lenin, der Charkviani wie Rumi dazu zwingen will, ihre historische Bestimmung zu erfüllen und zu Tatmenschen wider Willen zu werden. "Dahinschwimmen" besteht aus einem Bewusstseinsstrom, durch den hindurch die Wirklichkeit wie Sprengkörper bricht.
Der charakteristische Geruch einer Flugzeugtoilette ist die simple Bestätigung dessen, dass du noch immer ein schwerer Stein bist, der eines eisernen Vogels bedarf, um sich zwischen Wolken fortzubewegen. Dir bleibt nichts anderes übrig, als ein Theaterstück in mehreren Akten aufzuführen, mit einem gespielten Lächeln, nervösem Gang und natürlich meditativem Erstarren in einem Sessel, der dich mit seinen Gurthänden seit einer Ewigkeit um den Bauch gepackt hält und mit dem metallenen Gurtschloss deinem Penis Schmerzen bereitet. Du schließt die Augen und versuchst nach Kräften, dich deiner selbst anzunähern. Alles kannst du dir vorstellen: Schnee, eine Wolke, sogar Waschpulver, und nun kannst du mit dem Schrubben und Putzen deiner befleckten Vergangenheit beginnen. So eine Seelenreinigung ist zwar eine schwierige Angelegenheit, aber es heißt, dass diese Prozedur viel effektiver im Himmel gelinge als auf der sündigen Erde. Bedenke stets: Je höher der eiserne Vogel steigt, desto weniger werden Exkremente dein Bewusstsein beschmutzen. Das alles hilft dir, damit aus verschrumpelten Gefühlen eine zarte Schönheit ohne Vergangenheit geboren wird, damit der rosige Jüngling - die erste Stufe der Erleuchtung - wie eine Knospe aufspringt. Mit einem zufriedenen Lächeln schaute Rumi auf seine Sitznachbarn. Sollen die anderen doch schwatzen, nach Wasser oder Kaffee verlangen. Er würde die Augen schließen. Während er sich ganz diesen Gedanken hingab, sah er in den Händen seines Sitznachbarn einen winzigen Radioempfänger und starrte unwillkürlich auf den Zeigefinger des Mannes, der verschiedene Sender auf seinem Radio suchte. Rumi spürte einen unerträglichen Schmerz im Rücken, als sein Nachbar den dahingleitenden Pfeil seines Radioempfängers auf einem der Sender stehen ließ. Er konnte die Radiostimme nicht hören, denn der Mann hatte Kopfhörer aufgesetzt. Rumi starrte nur auf den Zeigefinger, der den Pfeil auf einen anderen Sender umschalten ließ. Der Schmerz verschwand. Erleichtert atmete er auf, wischte sich den kalten Schweiß ab, und ihn überkam das Gefühl, dass sein Schmerz auf irgendeine Weise mit den unbekannten Radiofrequenzen und dem Zeigefinger des Reisenden in direkter Verbindung stand. Der Nachbar konnte von einer Sekunde auf die andere die Empfindungen von Rumi ändern. Mit einer Fingerbewegung schickte er ihn mal in die Hölle, mal ins Paradies. Im Grunde genommen ist jeder Mensch ein Radioempfänger und empfängt verschiedene Sender auf verschiedene Frequenzen; aber welcher Sender es sein würde, wird durch den Finger eines Fremden bestimmt und nicht durch die eigenen Wünsche. Für den Finger spielt es wahrscheinlich gar keine Rolle, ob du dich gut oder schlecht benimmst, oder ob du dich in der Hölle oder im Paradies befindest. "Ich bin Sklave der unbewussten Bewegung von irgendjemandem", dachte Rumi, während er auf den Zeigefinger des Fremden starrte und schließlich erleichtert aufatmete, als der Reisende den Radioempfänger auf dem Sitz liegen ließ und in den hinteren Teil des Flugzeuges ging. Rumi schloss die Augen und sah einen blassen Lichtkreis. Das Licht verstärkte sich zusehends und, als sei es explodiert, zerstreute es sich, vermischte sich mit der Luft und verlor sich.