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Dato Barbakadse, Maja Lisowski, Goderdsi Tschocheli (Beteiligte)

Eine Krähe für zwei


Eine Krähe für zwei. Erzählungen. Ausgewählt von Dato Barbakadse. Aus dem Georgischen übersetzt von Maja Lisowski.
Übersetzung: Lisowski, Maja; Auswahl: Barbakadse, Dato
2019. 176 S. 2 Abb. 202 x 141 mm
Verlag/Jahr: POP VERLAG 2019
ISBN: 3-86356-232-1 (3863562321)
Neue ISBN: 978-3-86356-232-8 (9783863562328)

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Bela Tsipuria

Der magische Realismus bei Goderdsi Tschocheli

Den Namen des Schriftstellers und des Regisseurs Goderdsi Tschocheli kennt heutzutage in Georgien jeder. Sein Dasein wird heute von dem georgischen Leser genauso selbstverständlich wahrgenommen, wie das Dasein eines Berges, eines Baumes oder eines Flusses.
Zwar gibt es im georgischen Bewusstein des 20. Jahrhunderts durchaus Schriftsteller und Regisseure, die bedeutender erscheinen oder die wesentlichen kulturellen und nationalen Bestrebungen Georgiens repräsentieren, aber es gibt eben auch Goderdsi Tschocheli.
In den 1980-1981, als seine ersten kleinen Büchlein veröffentlicht wurden, war Goderdsi Tschocheli auf eine ganz natürliche Weise bekannt geworden. Für den jungen Mann, der einige Jahre zuvor sein Heimatdorf Gudamaqari in Ostgeorgien verlassen hatte, um an der elitären Staatlichen Schota-Rustaweli-Theaterhochschule in Tbilisi zu studieren, öffneten sich alle Türen ungewöhnlich leicht (vor allem an der Fakultät der Filmwissenschaft und später der Regie, wo immer nur einige wenige zum Studium zugelassen wurden). Genauso unbeschwerlich verliefen später seine ersten Filmaufnahmen und Buchveröffentlichungen.
Irgendwie schien der elitäre Kreis der Tbiliser Künstler Goderdsi Tschocheli den einfachen Wunsch, Bücher zu schreiben und Filme zu drehen, nicht abschlagen zu können und gewährte ihm hiermit seinen eigenen Platz, seine eigene Nische im Kulturbetrieb.
Zwar boten die Sowjet-Regulierungen einem Heranwachsenden, der aus einer Provinz stammte, gewisse "limitierte" Studienplätze zu besonderen Konditionen an, das bedeutete aber lange nicht, dass derjenige sich auch tatsächlich seinen Weg durch die übertrieben exklusive Künstlerszene inmitten Tbilisis zu ebnen vermochte. Eine besondere Aufmerksamkeit war auch damals von dem verwöhnten und überaus anspruchsvollen georgischen Publikum zu erwarten.
Die Nische, die Goderdsi Tschocheli füllte, wartete schon seit Wascha-Pschawela, dem großen georgischen Dichter (1861-1915), auf eine neue Figur (auch in den Biographien Goderdsi Tschochelis wird oft erwähnt, dass sein Erscheinen in Tbilisi gebührend gefeiert wurde: Der junge Wascha-Pschawela sei von den Bergen ins Tal hinabgestiegen).
Im georgischen Literaturkanon waren die Werke Wascha-Pschawelas schon fest verankert. Deshalb gab es auch keine Missverständnisse, als die Fragen aus den Bergen neu erklangen: die Suche nach Gott, die Existenz einer Seele, Fragen nach Leben und Tod, nach der Ewigkeit, nach der Natur und dem Menschen. Obwohl es in der spätsowjetischen georgischen Literatur gar nicht so einfach war, diese Fragen zu stellen, geschah es dennoch. Das georgische Literaturzentrum, das ein Hybrid aus georgisch nationalen und sowjetischen Diskursen bestand, hielt ausgerechnet von Goderdsi Tschocheli diese Fragestellungen für selbstverständlich.
Der Status eines Heranwachsenden, der aus dem Kaukasusgebirge kam, öffnete seinen Texten die Türen in die Kulturrealität, die noch immer von der Sowjetregierung geleitet wurde.
Die existenziellen Fragen der Moderne, die seit den 1930er-Jahren durch das Sowjetsystem tabuisiert worden waren, klangen aus dem Mund dieses jungen Mannes fast schon ungefährlich. Deshalb wurde ihm auch einiges - sowohl hinsichtlich seiner Protagonisten als auch seiner Leser - verziehen: das Schreiben über die Bergrituale, der Dreh über die Unterhaltung mit den Verstorbenen, die Frage nach der Existenz einer Seele. Er durfte die Grenzen des materiellen Bewusstseins überschreiten und über die religiös-mythische Wahrnehmung im Alltag Chewsuretiens berichten.
Für die sowjetische materialistische Ideologie waren solche Themen inakzeptabel. Aber wenn ein ehrlicher, junger Provinzler darüber schrieb oder Filme drehte, der sich neben alldem noch des Humors bediente, wenn er Sitten und Gebräuche eines Bergdorfes zeigte und seinen eigenen Verwandten und Dorfmitbewohnern die Rollen in seinen Filmen übertrug