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Marc Bayard

Das dynamische Sein bei Nicolaus Cusanus


Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der dynamischen Ontologie
2019. 344 S. 12 SW-Abb. 24 cm
Verlag/Jahr: REICHERT 2019
ISBN: 3-9549040-4-7 (3954904047)
Neue ISBN: 978-3-9549040-4-4 (9783954904044)

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Esse est movere - Sein ist Bewegen. Entgegen unserer statischen Vorstellungen von mittelalterlicher Philosophie entwirft Nicolaus Cusanus im 15. Jh. eine dynamische Sicht der Welt, in der die Geschöpfe eigenständige und eigenwirksame Seiende sind. Für die Ausarbeitung dieser dynamischen Ontologie bietet die Studie eine begriffsgeschichtliche Analyse der Dynamik: Die dynamis der aristotelischen Lehre der Bewegung führt über die neuplatonische ´Kraft´ sowie die ,göttliche Allmacht´ der patristischen Zeit hin zur mittelalterlichen potentia. Als philosophischer Ausgangspunkt dient dabei die gegenwärtige Prozessphilosophie, für die der dynamische Ansatz des Cusanus durchaus eine Chance darstellt.
Der Inhalt der Studie ist ein doppelter: Zum einen wird das Denken des Nicolaus Cusanus (1401-1464) als dynamische Ontologie interpretiert und zum anderen wird der philosophische Begriff der Dynamik begriffsgeschichtlich untersucht.
Zunächst wird ausgearbeitet, was der Begriff der Dynamik innerhalb der Prozessphilosophie bedeutet, wo er in der gegenwärtigen Philosophie v.a. beheimatet ist, insbesondere bei Nicholas Rescher, sowie in deren beiden Hauptrichtungen, die bei Charles S. Peirce und Alfred N. Whitehead ihre Ursprünge haben.
Ebenso muss aber auch geklärt werden, was die Begriffstrias Dynamis-Energeia-Entelecheia innerhalb der aristotelischen Theorie der Bewegung bedeutet, in der der moderne Dynamikbegriff seinen massgeblichen historischen Ursprung findet. Ergebnis dieser Analyse der aristotelischen Theorie der Bewegung ist, dass man bei Aristoteles zwischen zwei Weisen der Entstehung unterscheiden muss, nämlich zwischen der Entstehung einer Substanz gemäss ihrer Form und der Entstehung einer Substanz gemäss ihrer Natur, und dass die Dynamik als solche nur bei letzterer zu finden ist, und zwar als das zielursächliche Streben einer passiven Dynamis zu ihrer Natur hin. Dieser entlang der ,Physik? des Aristoteles gewonnene Dynamikbegriff wird dann über seine Entwicklung durch den antiken und mittelalterlichen Neuplatonismus hin zu Cusanus geführt. Die entscheidende Erkenntnis hierbei betrifft den grundlegenden Unterschied zwischen der neuplatonischen Dynamis und dem Begriff der göttlichen Allmacht, wie er bei den christlichen Denkern der Spätantike erscheint. Die göttliche Allmacht bei Augustinus und Dionysius durchbricht jede neuplatonische Vorstellung einer kontinuierlichen, immanenten Seinsvermittlung der Dynamis.
In diese aufgespannte Begriffsgeschichte hinein fügt sich dann das cusanische Denken als dynamische Ontologie, zu der er in Auseinandersetzung mit der aristotelischen und neuplatonischen Tradition findet. Bei der Diskussion der Kosmologie aus ,De docta ignoranita´ sowie der Erkenntnislehre von ,De coniecturis´ zeigt sich, wie bei Cusanus der christliche Begriff der Allmacht zurück zur aristotelischen Bewegungslehre weist, sofern bei ihm jede geschöpfliche Seinsvermittlung in einer realen, konkreten Bewegung eingeschränkt bleibt. Wenn man die einseitige Einordnung des Cusanus in die neuplatonische Rezeptionsgeschichte aufbricht, zeigt sich dessen denkerische Leistung, nämlich eine Synthese hergestellt zu haben zwischen aristotelischer Bewegung und neuplatonischer Seinsvermittlung: Dynamik des Seins in der Spannungsmitte von Bewegung und Substanz.
Schliesslich ist dann diese Polarität von Bewegung und Substanz auch ein Ergebnis für die gegenwärtige Prozessphilosophie, die unerbittlich ihren Prozess-Ansatz gegen jede Form von Substanzphilosophie abgrenzen will. Nur weil der Prozess nicht auf die Substanz zurückgeführt werden kann, muss noch lange nicht umgekehrt die Substanz auf den Prozess zurückgeführt werden. Vielmehr kann der Substanz-Begriff den Prozess-Ansatz sogar noch stärken, nämlich wenn man ihn abseits moderner Identitätslogik in aristotelischer oder cusanischer Weise dazu verwendet, die Eigenständigkeit und Eigenwirksamkeit realer Prozesse zu erklären.