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Stefanie Hohn, Stefanie Hohn
(Beteiligte)
Die Ewigkeit des Augenblicks
Roman
Herausgegeben von Hohn, Stefanie
2019. 300 S. 19 cm
Verlag/Jahr: NOVA MD 2019
ISBN: 3-9644349-7-3 (3964434973)
Neue ISBN: 978-3-9644349-7-5 (9783964434975)
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"Die Ewigkeit des Augenblicks" ist ein Roman über die schillernden Facetten der Liebe und zugleich ein faszinierendes Spiel mit der Wirklichkeit.
Vom Himmel gefallen
Wenn es nicht gerade Hochsommer und über dreißig Grad heiß war, dann liebte Alphonse Petit seinen Beruf. Hinter dem Steuerhebel des großen Baggers, mit dem er die riesige Schaufel so mühelos bewegen konnte, fühlte er eine Art göttliche Allmacht. Mit einer kleinen Bewegung seiner Hand konnte er das Alte, Hässliche, das niemandem mehr nutzte, aus dem Stadtbild entfernen und Platz für Neues schaffen. In fast allen umliegenden Häusern waren die Rollläden heruntergelassen worden. Die Stadt war wie leergefegt. Vor allem aus den wohlhabenden Pariser Vororten flüchteten die Bewohner um diese Jahreszeit in die Normandie oder an die langen Sandstrände des Atlantiks. So störte es auch niemanden, wenn Alphonse Petit den Schutt der verfallenen Villa auf der Rue des Illusionistes im beschaulichen Pariser Vorort Meudon mit lautem Getöse aus der Baggerschaufel in den Container hinunterkrachen ließ.
Mit routinierter Präzision schob er ein ums andere Mal die Schaufel in den riesigen Haufen aus Mauerresten, Gips, Mörtel, Glassplittern und Metallteilen. Als Alphonse Petit den Container mit einer neuerlichen Ladung ansteuern wollte, nahm er im Grau-Braun des Bauschutts ein helles Schimmern wahr. Es kam nicht selten vor, dass sich die Sonne in einem Glassplitter fing und der Baggerführer seine Arbeit unterbrach, um sich zu vergewissern, dass da nicht doch ein Wertgegenstand in seiner Schaufel gelandet war. Doch dies hier war kein Glassplitter. Es war viel größer - und weiß. So blendend weiß, dass es den Widerschein der Sonne in einem Spiegel an Helligkeit übertraf. Alphonse senkte die Schaufel wieder ab und kniff die Augen zusammen. Es - was auch immer es war - ruhte genau zwischen einem Pflasterstein von der alten Eingangstreppe und einem Stück hellgrauen Stucks aus den wenigen Teilen der Fassade, die noch erhalten geblieben waren. Es lag dort, sauber und glänzend, als sei es gerade eben aus dem dunstverhangenen Himmel mitten in seine Baggerschaufel gefallen.
Alphonse Petit stellte den Motor ab und kletterte von seinem Führerhaus herunter. Die plötzliche Stille verursachte bei ihm ein leichtes Schwindelgefühl und als er sich vorbeugte, um den Gegenstand in Augenschein zu nehmen, musste er sich sogar abstützen, um nicht vor Erschütterung vornüber zu kippen.
Es war eine Frau. Eine nackte Frau. Natürlich keine echte, sondern eine aus Stein. Solche Skulpturen sah man in Museen - wenn man Museen besuchte, was Alphonse Petit selten tat. Nein, eigentlich nie. Dennoch wusste er, dass diese kleine Skulptur etwas ganz Besonderes sein musste, denn so einen reinweißen, makellosen Stein hatte er noch nie gesehen. Sie lag da - ergeben in ein Schicksal, das sie sich nicht ausgesucht hatte, welches aber auch nicht mehr abzuwenden war.
Ihr Gesicht war ihm zugewandt, der Kopf geneigt, eine Hand auf dem Bauch, die andere ihm entgegengestreckt, als bitte sie ihn, Alphonse Petit, sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Sie war höchstens achtzig Zentimeter groß, aber ihre Hände und Füße, die kräftige Muskulatur ihrer Schenkel und Oberarme und die Linien ihres Gesichts wirkten so lebensecht, dass Alphonse Petit fürchtete, sie könne jeden Moment zu sprechen beginnen. Er neigte sich vor, um sie aus der Schaufel zu heben, zuckte aber erschrocken zurück, als er seine Hände sah. Sie waren staubig und ölverschmiert. Ratlos sah er sich um. Weit und breit kein Wasser. Kein Teich, keine Regentonne, nichts. Also zog er sein altes Schnäuztuch aus der Hosentasche seines Overalls, benetzte es mit dem letzten Rest aus seiner Wasserflasche und rieb sich, so fest er konnte, die Hände damit ab.
Dann schob er eine Hand unter ihren Rücken, die andere unter das Gesäß, und hob sie - sorgfältig bemüht, nicht den Busen oder ihre Scham zu berühren - aus der vollbeladenen Baggerschaufel.