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Giuliano Dolce, Rodolfo Dolce (Beteiligte)

LA MOSCA BIANCA


Wie die Migration der italienischen Gastarbeiter die Bunderepublik veränderte
2019. 101 S. 21 cm
Verlag/Jahr: NOVA MD; VILLA VIGONI VERLAG 2019
ISBN: 3-9669807-1-1 (3966980711)
Neue ISBN: 978-3-9669807-1-5 (9783966980715)

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"Mosca bianca" heißt wörtlich ins Deutsche übersetzt "Weiße Fliege". Gemeint ist damit etwas Seltenes, Außergewöhnliches. Und das waren Vater und Sohn Dolce, die hier ihre Erinnerungen vorlegen, im Vergleich zu den "typischen" italienischen Gastarbeitern, die seit 1955 nach Deutschland kamen. Wie sie ihre Situation erlebt haben, welche Erfahrungen sie mit der deutschen Gesellschaft gemacht haben, schildern sie pointiert und geistreich. So spiegelt sich in den Episoden und Begegnungen, von denen sie erzählen, auch der soziale Wandel der beiden Länder in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Im Deutschland der 50er und 60er Jahre, den Jahren des Wirtschaftswunders, der ersten Eisdielen und der ersten Gastarbeiter, war mein Vater etwas, das man in Italien eine weiße Fliege nennt: eine ganz seltene Spezies. Er war ein junger, wissenschaftlich qualifizierter Facharzt für Neurologie. Er sah die deutsche Gesellschaft und die Wirtschaftswunderdeutschen, nur wenige Jahre nach der Stunde Null, genauso wie die vielen anderen "Gastarbeiter" auch. Er konnte nur das, was er sah, aufgrund seines Hintergrundes anders einordnen. Ihm fiel die besondere deutsche Frühstückskultur auf - die bis heute gepflegt wird - und auch die deutsche Feierabendkultur. Der Stacheldraht und die Bauweise der Baracken, in denen die italienischen Arbeitnehmer, nach Geschlechtern getrennt, von ihren Arbeitgebern untergebracht waren, erinnerte meinen Vater - zumindest optisch - an andere lagerartige Einrichtungen der jüngsten deutschen Vergangenheit. Und wenn er einen Aufseher (sprich: Pförtner) eines solchen "Heims" fragte, wozu denn der Stacheldraht gut sei, und er die Antwort erhielt: "Wegen der Ordnung!", lernte er den Stellenwert der Ordnung kennen. Mein Vater bewundert Deutschland - wie die meisten Italiener, die nach Deutschland gekommen sind. Schon in den 50er Jahren war die deutsche Gesellschaft wesentlich offener als die italienische. Als mein Vater beschloss, wieder als Neurologe und Psychiater zu arbeiten, bewarb er sich 1959 einfach in einer Klinik in Bad Salzuflen. Er dachte, Bad Salzuflen sei in der Nähe von Frankfurt, wo er die Städte Bad Homburg, Bad Soden und Bad Vilbel kannte, also hielt er Bad Salzuflen für ein weiteres Stadtviertel von Badstadt. Er wurde ohne jegliche Empfehlung, ohne "raccomandazione", eingestellt - nicht denkbar in Italien, in dem jeder Gefallen einen Anspruch auf einen Gegengefallen begründet. Die wilden 50er, in denen man für deutsche Patienten einen Psychiater einstellte, der kaum Deutsch konnte und dessen erste Aufgabe darin bestand, die sich seit Tagen in ihrem Zimmer verschanzende Oberärztin einzuweisen, gingen zu Ende. Ich, der Sohn, Jahrgang 55, kann mich über meine Jugend, die 70er und 80er, noch fern von Aids-Ängsten und von der Vorarbeit der 68er Generation profitierend, nicht beschweren. Was mir aber alte Frankfurter - allen voran mein Onkel, der Hauptversorger der 68er Bewegung, von dem noch zu berichten sein wird - über die 50er erzählten, fand ich großartig. Alles fing von vorne an, alle waren da, keiner fragte, woher. 32 Tanzcafés allein auf der Kaiserstraße - einer Straße in Frankfurt mit nur 80 Hausnummern - und überall Party. Mein Vater lernte schnell, welche Grundsätze der Interaktion mit der deutschen Nachkriegsfrau galten. Mein Onkel hatte sie ihm prägnant zusammengefasst: Wenn ein deutsches Mädchen mit dir ausgeht, ins Kino geht, Tanzen geht, denk dir bloß nichts dabei - das ist hier, anders als in Italien, völlig normal. Nur wenn sie dich vor ihrer Haustür einlädt, einen Kaffee zu trinken, dann ist die Sache unter Dach und Fach. Egal, wie der Kaffee schmeckt. Ich denke, er hat nachts oft Kaffee trinken dürfen. Seine Voraussetzungen waren gut: Arzt, Italiener, großgewachsen und - vor allen Dingen - Witwer mit einem fünfjährigen Sohn. Spätestens das "süße Kind" hat wohl viele Herzen geöffnet, sodass ich schon damals funktional eingesetzt werden konnte. Ich bin dann in Deutschland groß geworden - und hier geblieben. Mein Vater hat nach 15 Jahren Deutschland, wo er zuletzt in der medizinischen Forschung gearbeitet hat, den Heimweg angetreten. Ich wurde mit 19 Jahren also alleingelassen, habe Jura studiert und in Frankfurt am Main 1983 eine Kanzlei eröffnet, die zunächst Anlaufstelle für viele Italiener war. Und ich habe viele Geschichten gehört, die mich an die meines Vaters erinnerten. Im Jahr 2008 wurde das 50jährige Jubiläum des ersten Anwerbeabkommens zwischen Italien und Deutschlands gefeiert, sozusagen die Geburtsstunde des Gastarbeiters. Ich ha