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Neuerscheinungen 2015

Stand: 2020-02-01
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Ernst Jünger

Strahlungen


1. Aufl. 2015. 609 S. 207 mm
Verlag/Jahr: KLETT-COTTA 2015
ISBN: 3-608-96304-9 (3608963049)
Neue ISBN: 978-3-608-96304-5 (9783608963045)

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Die Bände vier und fünf der "Sämtlichen Werke" enthalten mit "Siebzig verweht" die Tagebücher Jüngers aus den Jahren 1965 bis 1980, die wiederum mit der für ihn so charakteristischen Mischung aus Tagebuchnotaten, Briefen, Reflexionen und Kommentaren aufwarten. Dieser Band umfasst dabei die Jahre 1965 bis 1970.

Deutlich rücken in diesen Tagebüchern die zeitkritische Sicht Jüngers und das Verhältnis des Autors zu seinem eigenen Werk ins Zentrum der Reflexionen. Der Gegenwartskunst steht er skeptisch gegenüber - jedoch nimmt er vieles davon erst gar nicht zur Kenntnis.
Eingestreut sind zudem Berichte über die Arbeit an eigenen Werken, etwa den "Subtilen Jagden", "Drogen und Rausch" oder der "Zwille". Nicht nur als textgenetische Quelle interessant, sind die Tagebücher indes auch Ausdruck von Jüngers Selbststilisierung, die von der Kritik wiederum kontrovers bewertet wurde.
Strahlungen I

Wilflingen, 30. März 1965
Das biblische Alter ist erreicht - merkwürdig genug für einen, der in der Jugend niemals das dreißigste Jahr zu erleben gehofft hatte. Noch kurz vor dem dreiundzwanzigsten Geburtstag, im März 1918, hätte ich mit dem Teufel paktiert: "Gib mir dreißig Jahre, die aber sicher, und damit Punktum!"
Das aber nicht wegen der unmittelbar bevorstehenden großen Offensive, der ich eher mit Spannung und in der Hoffnung, daß wir das Schicksal noch einmal für uns wenden würden, entgegensah. In der Jugend ist eine trübe Grundstimmung häufig, als ob der Herbst seine Schatten vorauswürfe. Die Welt ist neblig, dunkle Blöcke ragen hervor. Allmählich wird die Sicht klarer; auch Leben muß gelernt werden.
Kann ich eine Erfahrung anläßlich des Datums mitteilen? Vielleicht diese: Die großen Abschnitte der Geschichte beginnen mit einer neuen eligion und jene im Leben des Einzelnen mit einem neuen Gebet. Das ist eine Wahrheit, aber kein Rezeot. Beter und Träumer ist jeder,auch wenn er es nicht weiß. Er vergißt, was er im Schlaf getrieben und im Namenlosen vernichtet hat. Wenn es ernst wird, zerbricht auch die Form des Gebets. [...]

Wilflingen, 17. November 1970
Erster Schnee. Ich legte Sonnenblumenscheiben vors Fenster; schon delektieren sich daran die Grünfinken. Aber die Kohlmeise pickte bereits an die Scheiben, als die Bretter noch leer waren.

Wilflingen, 12. Dezember 1970
[...] Die Drogenszene. Ein Vorpostengefecht mit enormen Verlusten; hier fehlt ein Clausewitz.
Oder: Streufeuer; ein Treffer ins Zentrum genügt. Tausend Eicheln fallen im Herbststurm, aus einer wächst ein Baum.

Im Märchen sind die Dinge von sich aus tätig, dem Menschen gegenüber autonom. Relikte davon haben sich in den Sprichwärtern erhalten: Der Krug "geht" so lange zum Brunnen, bis er bricht.
Er ist also lebendig, nicht nur belebt, und bildet kein exogenes, sondern ein endogenes Ganzes in Barnicks System.
Auch hinsichtlich der Unbefangenheit den Dingen gegenüber gibt es eine verlorene Unschuld, eine Riß, der sie wie Traum und Erwachen trennt. Von nun an wird die Welt aus Scherben zusammengesetzt. Sie gewinnt in den Teilen, was sie als Ganzes verliert. Herodot und Thukydides.

Auch im Verhältnis des Lesers zu seinem Autor gibt es Unterschiede wie zwischen Sexus und Eros: hier überwältigende Aktualität, dort stille, wachsende Liebe von Jahr zu Jahr.