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Stand: 2020-02-01
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Christin Borgmeier

Postmoderne Genialität zum Scheitern verurteilt? Die verkannten Genies der Romane Das Parfum und Schlafes Bruder


Erstauflage. 2015. 152 S. 220 mm
Verlag/Jahr: DISSERTA 2015
ISBN: 3-9542591-4-1 (3954259141)
Neue ISBN: 978-3-9542591-4-4 (9783954259144)

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Der Geniegedanke ist Thema aller Jahrhunderte gewesen. Wie aber gestaltet sich die Geniekonzeption in der Postmoderne? Dieser Frage soll am Beispiel der beiden Protagonisten Jean-Baptiste Grenouille und Elias Alder aus den Romanen Das Parfum und Schlafes Bruder nachgegangen werden. Beide sind anders als gewöhnliche Genies ihre Genialität bleibt weitgehend unentdeckt oder gerät schnell in Vergessenheit. Trotz oder gerade wegen ihrer Spezialbegabung sind sie gesellschaftliche Außenseiter und weisen eine generelle Lebensunfähigkeit auf. In diesem Zusammenhang sind ihr gestörter Bezug zu existentiellen Themen wie Liebe und Tod, Gott und Religion wie auch die ihnen eigene Disposition zu Krankheit und Irrsinn spannende Untersuchungsfelder. Darüber hinaus bietet sich eine Analyse von Analogien zu bekannten Künstler- und Geniedarstellungen der Vergangenheit an, welche in beiden Romanen teilweise spielerisch bis parodistisch desillusioniert werden.
Textprobe:
Kapitel C. 2, Postmodernes Liebesleid:
Obwohl beide Protagonisten sie niemals erfahren durften, ist die Liebe sowohl in Schlafes Bruder als auch im Parfum ein zentrales Thema, auch wenn sie hinsichtlich Elias Alder zwingender ist und offensichtlicher die Handlung dominiert. Elias hegt scheinbar eine eher typisch romantische Liebesvorstellung, der er sich mit ganzer Kraft widmet, weshalb er letztlich aber nicht nur an seinem eigenen Absolutheitsanspruch verzweifeln muss. Hingegen besitzt Grenouille eine befremdliche, nämlich objektbezogene Idee von Liebe, die ebenfalls zum Scheitern verurteilt ist. Weil er zudem eine extreme Ichbezogenheit aufweist, wird darüber hinaus seine Wertschätzung der eigenen Person nachvollzogen. In beiden Fällen jedoch trägt der Aspekt der Liebe zur Prägung der Figuren wie auch ihrer genialen Begabung bei, auch wenn sie letztendlich ohne Erfüllung bleiben muss.
2.1, Grenouilles Sehnsucht nach Liebe:
2.1.1, Duftverzauberung:
Bereits bei seiner Geburt entscheidet sich Grenouille nach Ansicht des Erzählers durch seinen reiflich erwogene[n] Schrei [ ] gegen die Liebe (P, 28); zumindest muss das postmoderne Genie lange Zeit auf die Liebe der Menschen verzichten und selbst als diese aufkommt, scheint der Begriff Liebe in diesem Kontext äußerst fragwürdig angewandt bzw. den Gegebenheiten nicht recht angemessen.
Grenouilles Kindheit ist geprägt von völliger Lieblosigkeit. Zuneigung und Wohlwollen darf er nicht erfahren, doch dem Anschein nach akzeptiert er diese Entbehrungen um des Lebens willen, wie der Erzähler meint:
Für seine Seele brauchte er nichts. Geborgenheit, Zuwendung, Zärtlichkeit, Liebe oder wie die ganzen Dinge hießen, deren ein Kind angeblich bedurfte waren dem Kinde Grenouille völlig entbehrlich. Vielmehr, so scheint uns, hatte er sie sich selbst entbehrlich gemacht, um überhaupt leben zu können, von Anfang an (P, 28).
Innerlich verkapselt er sich wie ein Zeck (P, 29), verschließt sich vor der äußeren Welt, wird resistent gegen jegliche Form von Grausamkeit, sei sie physisch oder psychisch, und orientiert sich allein an seinem olfaktorischen inneren Reich (vgl. P, 34f).
Mit fünfzehn Jahren, also in der Phase, die bei Normalsterblichen für gewöhnlich als Pubertät angesetzt wird, begegnet Grenouille dem Kompaß für sein künftiges Leben (P, 57), dem Duft des Mirabellenmädchens, der ihn völlig in den Bann zieht (vgl. P, 52), ihn willenlos macht (vgl. P, 53) und gar sein Herz quält (vgl. P, 50), das derart niemals zuvor in Anspruch genommen wurde. Die deutlichen Anzeichen einer Verliebtheit werden hier geschildert: ihm wird fast schlecht vor Aufregung (P, 51), sein Herz pochte infolge seiner erregte[n] Hilflosigkeit vor der Gegenwart dieses Geruches (P, 52) und er meint, nie so etwas Schönes gerochen (P, 54) zu haben.
Grenouille spürt, dass er sich diesen Geruch aneignen muss, weil er der Schlüssel zur Ordnung aller anderen Düfte (P, 50) ist. Er will ihn nicht allein aus der für ihn charakteristischen Gier, nicht um des schieren Besitzes, sondern um der Ruhe seines Herzens willen (P, 51). Der Geruch ist das höhere Prinzip , die reine Schönheit ; ohne seinen Besitz hat Grenouilles Leben keinen Sinn mehr , weshalb er ihn sich ins Kuddelmuddel seiner schwarzen Seele pressen (P, 55) will.
Während er den Duft des Mädchens förmlich in sich einsaugt, überkommt ihn ein unbeherrschter, gieriger Trieb und so erwürgt er es ohne jeden Skrupel. Die folgende Schilderung erinnert an eine Vergewaltigung ohne jedoch den Akt der sexuellen Vereinigung:
Als sie tot war, legte er sie auf den Boden [ ], riß ihr Kleid auf [ ]. Er stürzte sein Gesicht auf ihre Haut und fuhr mit weitgeblähten Nüstern von ihrem Bauch zur Brust, zum Hals, in ihr Gesicht und durch die Haare und zurück zum Bauch, hinab an ihr Geschlecht, an ihre Schenkel, an ihre weißen Beine. Er roch sie ab vom Kopf bis an die Zehen, er sammelte die letzten Reste ihres Dufts am Kinn, im