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Neuerscheinungen 2015

Stand: 2020-02-01
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Hanna Kaußen

Armut in der Sozialen Arbeit: Disqualifizierende Armutsdarstellungen und die Profession der Sozialen Arbeit


Erstauflage. 2015. 104 S. 220 mm
Verlag/Jahr: DIPLOMICA 2015
ISBN: 3-9585089-2-8 (3958508928)
Neue ISBN: 978-3-9585089-2-7 (9783958508927)

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In Deutschland steigt die Zahl der Armen stetig an. Politik, Medien und öffentliche Meinung diskutieren Voraussetzungen, Entwicklungen und Hilfen. Individualisierung und Kulturalisierung von Armut sowie Moralisierung und Klassifizierung der Armen bestimmen die aktuellen Debatten. In diesem Buch betrachtet die Autorin das Thema Armut aus der Perspektive der Sozialen Arbeit. Dabei geht sie selbstkritisch mit der Profession der Sozialen Arbeit um. Sie hinterfragt die Strukturen und organisierten Hilfen und zeigt Wege auf, wie professionelles Selbstverständnis und praktische Ansätze pathologisierenden Armutsbetrachtungen entgegenwirken können. Dazu beleuchtet sie eingehend die Arbeitsansätze Hilfe zur Selbsthilfe und Aktivierung , um eine Möglichkeit zur Verwirklichung eines ressourcenorientieren Professionsverständnisses aufzuzeigen.
Textprobe:
Kapitel I, Einführung:
Abends vor dem Darmstädter Hauptbahnhof. Studenten in Feierlaune, Menschen auf dem Weg in ihren wohlverdienten Feierabend und einige Senioren, müde vom Tag - sie alle sammeln sich langsam an der Bushaltestelle und schauen gebannt auf die Szene, die sich wie jeden Tag in der gegenüberliegenden Bushaltestelle abspielt. Mit Schlafsäcken und Hunden ausgestattet, schlägt dort gerade eine Gruppe junger Menschen ihr nächtliches Lager auf. Soweit ist es wie jeden Abend. ,Wär der Addi noch an der Macht, würd s so was wie da drüben nicht geben. Meinereiner schafft acht Stunden auf m Bau - und für was? Damit ich so n Pack mit durchfüttern muss! platzt neben mir ein älterer Mann heraus. Schockiert und erschrocken suche ich die empörten Blicke der Anderen - doch ich sehe lediglich zustimmendes Nicken - fast schon Beifall.
Mir war durchaus bewusst, dass solche Stammtischphrasen hinter vorgehaltener Hand gesprochen werden, aber wann fing es an, dass solche abwertenden, rassistischen Grundhaltungen in einer breiten Öffentlichkeit ungestraft geäußert werden könne und auch noch billigend Zustimmung finden?
Bei näherer Überlegung fällt zudem auf, dass nicht nur in alltäglichen Situationen abwertende und disqualifizierende Armutsbilder Einzug gehalten haben. Auch in Medien, Politik und selbst in Fachkreisen der Sozialen Arbeit wird das Thema Armut zunehmend moralisierend behandelt und bewertet - oder ist das lediglich meine Wahrnehmung? Bin ich aufgrund meiner zunehmenden Professionalisierung, durch meinen gesetzten Studienschwerpunkt ,Armut , zu sensibel für das Thema und damit zu fokussiert auf diffamierende Armutsäußerungen?
Mit der Teilnahme an dem Kongress Bürger oder Bettler der Evangelischen Obdachlosenhilfe im November 2010 wurde mir durch die Beiträge der Referenten deutlich, dass meine Wahrnehmung durch die aktuellen Fachdiskussionen bestätigt wurde. Dort angesprochene Themen befassten sich insbesondere mit sozialpolitischen Entwicklungen. Aktuelle Gesetzesänderungen basieren vermehrt auf wertenden Armutsbildern: Hartz-IV-Empfänger können ihre Kinder nicht ordentlich erziehen, daher wird anstatt einer Erhöhung der Kinderregelsätze das Bildungspaket verabschiedet. Der Regelsatz der Erwachsenen wird lediglich um fünf Euro erhöht und Kosten für Tabakwaren und Alkohol aus der Berechnung gestrichen. Die Bekämpfung struktureller Armutsursachen scheint nicht mehr das vorrangige Ziel sozialpolitischer Entscheidungen zu sein, sondern eine Erziehung der Armen.
Ein weiterer Fokus des Kongresses lag auf der medialen Inszenierung disqualifizierender Armutsbilder, die, gestützt durch Expertenmeinungen, in alltägliche Verständigungen übertragen werden: Die Ausbeutung der Produktiven durch die Armen (SLOTERDIJK 2009), die Gleichsetzung des Beziehens von Transferleistungen mit spätrömischer Dekadenz (WESTERWELLE 2010) sowie die sozialdarwinistischen und sozialrassistischen Thesen SARRAZINs (2010), sind nur einige der genannten Beispiele.
Die Fachbeiträge machten deutlich, dass Armut gesamtgesellschaftlich betrachtet werden muss, um verstehen zu können, warum sich das Bild auf Arme verändert. Disqualifizierung durch Armut ist aktueller Gegenstand von Politik, Medien und Alltagsverständigungen und führt vermehrt zu abwertenden Armutsbildern. Ich halte daher eine kritische sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung für wichtig und erforderlich.
Haben sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen in Deutschland geändert und inwiefern haben diese Auswirkungen auf das Bild der Armen und auf die gesamte Gesellschaft? Wenn Armut als soziales Verhältnis betrachtet werden muss, muss heraus gefunden werden, wie sich die Beziehung gestaltet und welche Faktoren diese beeinflussen. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, welches Armutsverständnis derzeit in Politik, Medien und im Alltagsverständnis präsent ist. Und wer bestimmt überhaupt, welche Ansicht