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Neuerscheinungen 2015

Stand: 2020-02-01
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Paul Weismann

Europäische Verwaltungsgeschichte: Am Beispiel der Europäischen Kommission, der Regulierungsagenturen und der Komitologi


Erstauflage. 2015. 76 S. 220 mm
Verlag/Jahr: DIPLOMICA 2015
ISBN: 3-9593480-8-8 (3959348088)
Neue ISBN: 978-3-9593480-8-9 (9783959348089)

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Gegenstand dieser Studie ist die Bürokratie der EWG/EG/EU. Dabei wird die historische Entwicklung der wesentlichen Elemente dieser Bürokratie - in organisatorischer Hinsicht heißt das: der Europäischen Kommission und ausgewählter anderer Einrichtungen - beleuchtet. Das vordergründige Ziel ist es, die institutionelle (organisatorischer Wandel) und personelle (prägende Persönlichkeiten) Entwicklung der Kommission nachzuzeichnen und zu analysieren, sowie die Motive für die Gründung von Komitologie-Ausschüssen einerseits und von Regulierungsagenturen andererseits zu erforschen. Auf Grundlage dieser Untersuchung werden die hier behandelten Verwaltungseinrichtungen im Sinne von Max Webers Idealtypen der Herrschaft klassifiziert. Schließlich werden aus den gewonnenen Erkenntnissen allgemeine Tendenzen in der Verwaltungsgeschichte der EWG/EG/EU abgeleitet.
Textprobe:
Kapitel 4 Das politische Wirken der einzelnen Kommissionen:
[...] Die gerade ein Jahr alte Kommission von Präsident Jean Rey hat im Juli 1968 angekündigt: "All - or nearly all - still remains to be done." Damit waren Harmonisierungen weit über die bisherigen Betätigungsfelder der EWG hinaus im Bereich des Handels, der Staatsfinanzen, des Verkehrs, der Sozialversicherungen etc. angesprochen. Dass es Jahrzehnte bedurfte, bis diese Reformen umgesetzt wurden, steht auf einem anderen Blatt. Die Ansage zeugt jedenfalls von einem gewissen Selbstbewusstsein der Kommission. Doch hatte der "temperamentvolle Liberale" Rey, der sich um einen kollegialen Umgang mit seinen Kommissaren bemühte, die Zügel nicht annähernd so fest in der Hand wie etwa Hallstein. Rey hatte mit der Illoyalität einzelner Kommissare - etwa Raymond Barre, Ralf Dahrendorf, Sicco Mansholt - zu kämpfen. Ähnliches gilt übrigens auch für Jenkins und Thorn - und später Santer -, die große Schwierigkeiten hatten, ihre Mannschaft in dieser Hinsicht im Griff zu behalten. Aber selbst Delors schien dieses Problem zu kennen. Diese Herausforderung des Kommissionspräsidenten, nämlich sein Team zu befrieden und zu disziplinieren, ist im Vergleich zu Regierungschefs von Staaten tendenziell wohl noch schwieriger: dies zum einen, weil das Kommissionskollegium Politiker der unterschiedlichsten politischen Couleurs, die aus den unterschiedlichsten Gründen in die Kommission entsandt wurden, vereint; zum Zweiten, weil dem Kommissionspräsidenten, anders als anderen Regierungschefs, die Befugnis abgeht, Regierungsmitglieder mehr oder weniger nach freiem Willen - oder besser: nach persönlichem politischen Kalkül - aufzunehmen bzw. zu entlassen; und zum Dritten, weil die Kommissionsbürokratie kein Monolith, sondern ein zersplittertes, multinationales, multilinguales und multikulturelles Konstrukt ist - für einen allein zu groß und komplex, um sofort eine funktionierende Befehlskette herzustellen: "Establishing a Commission line, as opposed to the policy preferences of individual directorates, is tortuous".
War die Zeit bis zu den späten 60er Jahren noch von "considerable optimism in Community circles" getragen - McAllister bezeichnet die Zeitspanne von der Gründung der EWG 1958 bis 1970 als "period of communitas felix" -, werden die 70er Jahre gemeinhin als Krisenzeit (auch) für die Europäische Kommission - in diesem Zusammenhang ist das Wort "Erosionsprozess" gefallen - wahrgenommen: "[I]n the 1970´s, the Commission, self-critical and demoralized, was perceived as an overblown and overpaid secretariat of the Community". Eine relative Währungsinstabilität und die Ölkrisen in den 70er Jahren, die Einrichtung des Europäischen Rats 1974 und - allerdings in geringerem Ausmaß - die Stärkung des Europäischen Parlaments mit der Abhaltung der ersten Direktwahl 1979, trugen das Ihrige zur geringen politischen Autorität der Kommission bei.
Die Kurzzeitpräsidenten Malfatti - er ging zurück nach Italien, um sich an den vorgezogenen Parlamentswahlen zu beteiligen -, Mansholt - der bis zur Norderweiterung der Gemeinschaften und der damit verbundenen Neubestellung der Kommission nur ein knappes Jahr amtierte - und Ortoli, laut "Spiegel" ein "begnadeter Karrierist" und Vertrauter des damaligen französischen Präsidenten Georges Pompidou, den Cini außerdem als "technocrat rather than politician" und "rather unexciting" beschreibt, trugen wenig zur Steigerung des Prestiges der Kommission bei. Letzterem wird allerdings zugutegehalten, dass er mehr Anwesenheitsdisziplin bei den wöchentlichen Sitzungen des Kommissionskollegiums einforderte. Der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt urteilte über die Kommissionspräsidenten Mitte der 70er Jahre (jedenfalls prima vista) hart, wenn auch etwas kryptisch: Seit Gründung der EWG sei unter den Kommissionspräsidenten "kaum jemals ein erstklassiger Politiker" gewesen. Solcherart geschwächt, musste sich di