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Chiinngaihkim Guite
Das Motiv der Angst in Rainer Maria Rilkes Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
Erstauflage. 2015. 248 S. 220 mm
Verlag/Jahr: DISSERTA 2015
ISBN: 3-9593508-2-1 (3959350821)
Neue ISBN: 978-3-9593508-2-2 (9783959350822)
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Das Buch behandelt die Darstellung der Angst in Rilkes Werk Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Die Angst ist ein Leitmotiv des Buches. Im Zentrum steht die Angsterfahrung Maltes in der Großstadt bzw. in Paris. Es hat einen klaren theoretischen Ansatz, nämlich die philosophische Betrachtung des Angstphänomens von den Philosophen des Existenzialismus wie S›ren Kierkegaard, Martin Heidegger und Jean Paul Sartre. Die Angst wird von diesen Philosophen als Negation, Abwesenheit, aber auch als ein dialektisches Korrelat zum Sein betrachtet. Angst als Grundzug des Seins wird in diesen Philosophien unterschiedlich akzentuiert - als Überbleibsel des Sündenfalls und als gegenstands- oder referenzlos (Kierkegaard), als ontologische bzw. existenzielle Angst vor dem Geworfensein in der Welt (Heidegger) sowie als ein "reines reflexives Ergreifen des Selbst" (Sartre)
Textprobe:
Kapitel 3.3, Großstadt und Angst:
Die Aufzeichnungen Maltes beginnen mit der Beschreibung der Stadt Paris. Die Großstadt bietet sich Malte in erster Linie als Erkenntnismittel dar und birgt für ihn ein neues Leben voll neuer Bedeutungen. Die Großstadt erscheint ihm zunächst in ihrer Negativität und stößt ihn ab. Er beginnt mit den Gedanken über Leben und Tod in Paris. Damit fällt ein hartes Urteil über Paris:
"So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es stürbe sich hier. Ich habe gesehen: Hospitäler. Ich habe einen Menschen gesehen, welcher schwankte und umsank. Die Leute versammelten sich um ihn, das ersparte mir den Rest."
Maltes Wahrnehmung und Erfahrung der Großstadt kann man in drei Sinnen einteilen nämlich, sehen, riechen und hören. Zunächst lernt Malte sehen. Er zählt erstmal auf, was er sieht. Es sind Hospitäler, Kranke und Sterbende, schwankende und umsinkende Menschen, Arme und schwangere Frauen. Er zweifelt ernsthaft, ob die modernen Krankenhäuser heilen oder den Weg zum Tode führen. Damit wird die Stadt als Stadt der Kranken und des Todes evoziert: "Dieses ausgezeichnete Hôtel ist sehr alt, schon zu König Chlodwigs Zeiten starb man darin in einigen Betten. Jetzt wird in 559 Betten gestorben. Natürlich fabrikmäßig." Malte besucht ein Krankenhaus Salpêtrère. Dort wird er von einem Arzt diagnostiziert. "Der Artz hat mich nicht verstanden. Nichts. Es war ja auch schwer zu erzählen. Man wollte einen Versuch machen mit dem Elektrisieren." Die elektrotherapeutische Behandlung erhöht die Angst. "Eine Maschine ratterte los." Malte sieht kein anderer Ausweg mehr, als seine Ängste medizinisch behandeln zu lassen und begibt sich in die Salpêtrère. Die moderne Welt, mit den zusammenhängenden Ideen der Wissenschaft und des technischen Fortschritts, wird in Frage gestellt:
"Ist es möglich, daß man trotz Erfindungen und Fortschritten, trotz Kultur, Religion und Weltweisheit an der Oberfläche des Lebens geblieben ist? Ist es möglich, daß man sogar diese Oberfläche, die doch immerhin etwas gewesen wäre, mit einem unglaublich langweiligen Stoff überzogen hat, so daß sie aussieht, wie die Salonmöbel in den Sommerferien?
Ja, es ist möglich."
Diese rhetorischen Fragen sind besonders in der Großstadt relevant.
Für Malte sind die Krankenhäuser der Großstadt nicht der Ort der Genesung, sondern der Todesgewißheit. Die Auseinandersetzung mit dem Sterben und dem Tod hängt mit der Großstadtproblematik unverkennbar zusammen. Die Menschen sterben in der Massengesellschaft einen Tod, dessen Anonymität für die Stadt typisch ist. Der anonyme Tod und das "fabrikmäßige" Massensterben in den großstädtischen Hospitälern sind als Zeichen für das meist "einsame, entindividualisierte Dasein der Menschen in der Vermaßung der Kapitale zu interpretieren." Der Tod, der mitten in der Stadt unverhofft steht, stellt die Ursache der Angst dar. Selbst die neueste Technologie kann den Tod aus der Welt nicht beseitigen. In seinem Brief an Clara Rilke am 31.8.1902 gesteht Rilke:
"Vielleicht auch Paris, das wirklich eine große Stadt ist, ist mir sehr, sehr fremd. Mich ängstigen die vielen Hospitäler, die hier überall sind. Ich verstehe, warum sie bei Verlaine, bei Baudelaire und Malarmè immerfort vorkommen. Man sieht Kranke, die hingehen oder hinfahren, in allen Straßen. Man sieht sie an den Fenstern des Hôtel Dieu in ihren seltsamen Trachten, den traurigen blassen Ordenstrachten der Krankheit. Man fühlt auf einmal, daß es in dieser weiten Stadt Heere von Kranken gibt, Armeen von Sterbenden, Völker von Toten."
Der Literaturkritiker Pfleister verbindet diese autobiographische Briefstelle mit dem Roman:
"Rilke hat seine eigenen Gefühle, Gedanken, Probleme und vor allem seine Ängste bei der Bewältigung der französischen Kapitale in die Figur des Romanhelden projiziert. All Schattenseiten der Großstadtrealität werden gezeichnet, die Kranken, Ar