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Stand: 2020-02-01
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Irma Joubert, Thomas Weißenborn (Beteiligte)

Sehnsuchtsland


Übersetzung: Weißenborn, Thomas
2016. 480 S. 21,5 cm
Verlag/Jahr: FRANCKE-BUCHHANDLUNG 2016
ISBN: 3-86827-591-6 (3868275916)
Neue ISBN: 978-3-86827-591-9 (9783868275919)

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1905 aus St. Petersburg geflohen, findet die kleine Hildegard mit ihrer Familie auf dem Landgut der adligen Vorfahren in Königsberg ein neues Zuhause. Das aufgeweckte Mädchen steckt voller Energie und Wissensdurst, sehnt sich aber zutiefst nach Liebe und Anerkennung. Als sie dem Studenten Gustav von Langner aus Deutsch-Südwestafrika begegnet, beginnt sie zaghaft zu träumen - vom Sehnsuchtsland Afrika und von Gustav.
Doch dann bricht der Erste Weltkrieg aus und ihre Träume zerplatzen wie eine Seifenblase. Hildegard ahnt nicht, welch turbulente Zeiten ihr noch bevorstehen. Sie ahnt nicht, dass sie schon bald im Berlin der 20er-Jahre leben und nicht nur einen, sondern zwei Weltkriege wird meistern müssen. Vor allem aber ahnt sie nicht, welche Umwege das Leben sie noch führen wird, bevor sie endlich das findet, wonach sie sich am meisten sehnt: ein Zuhause.
Prolog
"Hildegard?"
Instinktiv schaut sie auf, blickt dann aber sofort wieder zu Boden.
"Hildegard von Plötzke?" Sie hört das Erstaunen in seiner Stimme. "Wahrhaftig, Hildegard von Plötzke aus Königsberg! Wie ... wie um alles in der Welt bist du denn hier gelandet?"
Ja, wie um alles in der Welt ist sie hier gelandet?
Und dazu noch auf diese Weise!

1. Kapitel
Das Früheste, an das sie sich erinnern kann, ist ein gelber Lichtschein, der durch die Fenster fällt, und an Nanny, die sich über sie beugt, während sie in ihrem Kinderbettchen liegt. Aber das sind ganz vage Erinnerungen, so verblasst wie die Fotos im Album ihrer Mutter, das sie immer noch besitzt.
Sie meint, sich auch noch daran erinnern zu können, wie Papa am oberen Ende eines sehr langen Tisches sitzt. Doch dieses Bild ist ganz und gar verschwommen. Vielleicht erinnert sie sich auch nur an ein Foto, das sie einmal gesehen hat und nun nicht mehr aus ihrem Kopf bekommt.
Die Erinnerung an die rote Nacht, in der Nanny sie aus ihrem großen Bett gerissen hat, ist deutlicher. In dieser Nacht mussten sie aus Russland fliehen.

Irgendwo schreien Menschen.
Es ist dunkel und sie ist noch ganz verschlafen, ihre Augenlider sind so schwer, dass sie sie kaum öffnen kann.
Da schreien tatsächlich Menschen. Irgendwo weit weg.
Sie hört, wie die Tür geöffnet wird, bevor sie es sieht. Nanny stürmt herein. "Komm, Hildegard!"
Bevor sie sich aufrecht hinsetzen kann, ist Nanny schon bei ihr, hüllt sie in ihre Decke und reißt sie aus dem Bett. Sie weiß nicht, was mit ihr geschieht. "Nanny?"
Nanny sagt kein Wort. Sie rennt mit kleinen, schnellen Schritten aus dem Zimmer.
Nirgendwo brennt Licht. Doch von draußen fällt ein roter Lichtschein herein. "Warum ist alles so rot?", will sie wissen.
Auf der Treppe holt Papa sie ein. Er reißt sie Nanny aus dem Arm. "Holen Sie für das Kind Schuhe und eine Jacke und dann kommen Sie in mein Studierzimmer!"
"Yes, Herr von Plötzke."
Papa rennt mit ihr die Treppe hinunter, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nimmt.
"Still, sei ruhig!"
Seine rauen Bartstoppeln kitzeln sie an der Wange, der leichte Brandgeruch seines Schnauzers kribbelt ihr in der Nase. Sie hat Angst und drückt ihren Körper fester an die breite Brust ihres Vaters.
Dieser rennt durch das Esszimmer hindurch ins Studierzimmer. "Charlotte, ich hole Geld", sagt er schnell und geht zum Schrank.
"Mach erst die Tür auf", hört sie die Stimme ihrer Mutter sagen. Die Stimme hört sich seltsam an, irgendwie verkniffen.
Dann zaubert ihr Vater. Er zaubert wirklich, denn das ist kein magischer Trick: Er steht vor dem Schrank und sagt leise etwas - sie meint, vielleicht hat er wirklich so etwas wie "Abrakadabra" gesagt - dann gleitet der gesamte Bücherschrank nach hinten weg.
"Papa?"
Er zündet eine Lampe an und reicht sie ihrer Mutter. "Schnell, ich will nicht, dass irgendjemand das Licht sieht."
"Papa?"
Diesmal antwortet ihre Mutter: "Hildegard, sei still."
Daraufhin stellt sie keine weiteren Fragen mehr.
Nanny nimmt sie an der Hand. "Pass auf, da sind Stufen runter." Nanny spricht ein komisches Deutsch.
Der Boden unter Hildegards nackten Füßen wird auf einmal eiskalt, das Licht wird schwach, es ist nur noch ein gelber Schein in der schwarzen Finsternis. Vorsichtig steigt sie die Treppe hinunter. Ihre Mutter geht mit der Lampe voraus. Es sind schmale Treppenstufen, die ungewöhnlich hoch sind. "Ich kann nichts sehen", sagt sie zu Nanny.
"Mach schnell, Hildegard." Die Stimme ihrer Mutter klingt streng.
Am unteren Ende der Treppe, tief im Bauch der Erde, tut sich vor ihr ein Gang auf. Verwundert bleibt Hildegard stehen. Dass es unter ihrem Haus einen geheimen Gang gibt, das hat sie nicht gewusst. Die bittere Kälte kriecht ihr nun langsam die Beine hinauf. Hinter ihr schiebt ihr Vater von innen die Tür zu und eilt hastig die Treppe hinunter. Er nimmt sie auf den Arm, jetzt sind ihre Füße nicht mehr kalt. So schnell sie können, schieben sie si