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Lynn Austin, Dorothee Dziewas (Beteiligte)

Bibliothek der Träume


Übersetzung: Dziewas, Dorothee
2016. 432 S. 19 cm
Verlag/Jahr: FRANCKE-BUCHHANDLUNG 2016
ISBN: 3-86827-602-5 (3868276025)
Neue ISBN: 978-3-86827-602-2 (9783868276022)

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Illinois 1936
Alice Ripley lebt so sehr in der Traumwelt ihrer Bücher, dass sie erst ihren Freund und dann ihre Stelle in der Bibliothek verliert. Frustriert flüchtet sie sich in die Berge Kentuckys, um in der Bücherei des winzigen Bergarbeiterdorfes Acorn eine Weile auszuhelfen. Leider ist der Bibliotheksleiter jedoch ganz anders als erwartet und auch die vier "Bücherbotinnen", die den Lesestoff zu Pferd verteilen, entsprechen so gar nicht Alices Vorstellungen.
Aber Alice sitzt in Acorn fest, hat keine Chance, diesem Albtraum zu entkommen. Und bald muss sie feststellen, dass die Abenteuer, die das wahre Leben schreibt, tausendmal besser sind als die, die sie sich in ihren kühnsten Träumen ausgemalt hat.
Kapitel 1
Blue Island, Illinois
1936

Wenn mein Leben ein Buch wäre, würde niemand es lesen. Die Leute würden sagen, es sei zu langweilig, zu vorhersehbar. Eine Geschichte, wie sie schon tausendmal erzählt wurde. Aber ich war mit meinem Leben ganz und gar zufrieden - bis die hinteren Seiten aus meiner Geschichte herausgerissen wurden, bevor ich die Gelegenheit hatte, glücklich bis an mein Lebensende zu leben.
Das Ende kam, äußerst passend, bei einer Beerdigung. Nicht meiner eigenen Beerdigung - ich bin erst zweiundzwanzig Jahre alt -, sondern Elmer Watsons Beerdigung. Er war ein freundlicher alter Herr, der immer in die öffentliche Bücherei hier in Blue Island, Illinois, kam, in der ich zu diesem Zeitpunkt seit anderthalb Jahren als Bibliothekarin arbeitete. Ich kannte Mr Watson - das heißt, wahrscheinlich wäre es richtiger zu sagen, dass ich seinen Geschmack kannte, was Bücher und Zeitschriften betraf - und ich schätzte ihn sehr wegen seiner Lektürevorlieben.
Als ich hörte, dass er an diesem Tag beerdigt werden sollte, ging ich nach der Arbeit zum Beerdigungsinstitut und setzte mich ganz allein in die hinterste Reihe. Mein Vater, Pastor Horace Ripley, leitete die Trauerfeier. Allerdings beschloss gleich zu Anfang eine ganze Reihe von Mr Watsons langweiligen Verwandten - weit entfernte Cousins, Söhne, Neffen und Schwiegersöhne - aufzustehen und langatmige Geschichten darüber zu erzählen, wie Elmer einmal mit ihnen in irgendein Geschäft gegangen war oder ein Pferd von ihnen gekauft hatte, oder über sonst irgendeine andere nichtssagende Begebenheit. Keiner dieser Leute hätte eine gescheite Geschichte erzählen können, selbst wenn ihr Leben davon abgehangen hätte. Ich war nicht die Einzige im Publikum, die gähnte.
Als ich merkte, dass die öden Lobreden sich noch endlos hinziehen würden, nahm ich ein Buch aus meiner Tasche und fing an zu lesen. Ich fand, dass ich es sehr unauffällig tat, indem ich hin und wieder aufblickte und zustimmend nickte, wenn einer von Mr Watsons feinen Charakterzügen gepriesen wurde. Ich hätte meinerseits hinzufügen können, dass er seine Bücher immer pünktlich zurückgegeben hatte, aber warum hätte ich den Gottesdienst unnötig verlängern sollen?
In diesem Augenblick schlich sich mein Freund, Gordon T. Walters, auf Zehenspitzen von hinten an und setzte sich auf den Stuhl neben mir. Ich las schnell den Absatz zu Ende und legte das Lesezeichen zwischen die Seiten, bevor ich das Buch zuklappte.
Ich erwartete, dass Gordon meine Hand nehmen würde, aber das tat er nicht. Er saß in seinem bis oben hin zugeknöpften schwarzen Anzug so steif neben mir, dass er genauso gut eine Leiche hätte sein können wie der arme Mr Watson. Mit einem Lächeln auf den Lippen blickte ich zu Gordon auf, aber er sah mich mit einem Beerdigungsblick an und schüttelte den Kopf. Mir war nicht bewusst gewesen, dass er Mr Watson gekannt hatte, aber warum hätte er sonst so ernst dreinblicken sollen? Als der Gottesdienst endlich zu Ende war und wir durch eine Seitentür hinausgingen, erfuhr ich den Grund.
"Du hast während einer Beerdigung ein Buch gelesen?", fragte er mit entsetzter Miene. "Alice, wie kannst du nur?"
"Nun ... es war ein sehr gutes Buch", sagte ich mit einem kleinen Schulterzucken. "Ich konnte nicht anders. Ich musste herausfinden, was mit der Heldin geschieht."
"Wen interessiert schon, was in einem dämlichen Buch passiert? Das ist doch nicht echt. Es ist eine erfundene Geschichte. Aber eine Beerdigung, Alice - eine Beerdigung ist das richtige Leben!" Gordon gestikulierte wild, als könnte er seiner Empörung allein mit Worten nicht genügend Ausdruck verleihen. Ich wollte seine Hand nehmen, aber das ließ er nicht zu. Wir müssen ein merkwürdiges Bild abgegeben haben, als wir so in einem Strahl der schwachen Februarsonne vor dem Bestattungsinstitut standen, in dem Gordon lebte und arbeitete. Dabei waren wir schon unter normalen Umständen ein merkwürdiges Paar - Gordo