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Neuerscheinungen 2016

Stand: 2020-02-01
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Udo Gräfe

Vergangenheit ist, wenn es nicht mehr weh tut


2016. 156 S. m. 50 Abb. 19.5 cm
Verlag/Jahr: BUSSERT & STADELER 2016
ISBN: 3-942115-38-7 (3942115387)
Neue ISBN: 978-3-942115-38-4 (9783942115384)

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Vieles Unvorhersehbares kann in einem Leben passieren, Der "Zeissianer" Udo Gräfe erzählt in diesem Buch seine ganz persönlichen Erlebnisse. Seien es die Bombardements auf Jena 1945, das Elend der Nachkriegs jahre, der 13. August 1961 in Westberlin als Zwischen stopp einer Ostseeurlaubsheimreise, die Arbeit im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena oder die Jahre beim Fußballclub Carl Zeiss Jena. Auch die menschliche Enttäuschung, dass Skatbrüder für das MfS tätig waren, ist hier verzeichnet. Wegen "der Akten lage" bei der Behörde durfte der Autor 1981 nicht zum Europacup-Finale in Düsseldorf mitfahren.
Kindheitserinnerungen

Im September 1940 wurde ich in Jena geboren und wuchs im Jenaer Süd-Viertel - im "Schott-Viertel" - auf. Namensgeber des "Schott-Viertels" war das Glaswerk, welches von Otto Schott 1884 als Glastechnisches Laboratorium gegründet worden war.
Die elterliche Wohnung befand sich genau gegenüber des Werk eingangs der Firma "Jenaer Glas Schott & Genossen". Meine Eltern stammten aus Naumburg und Großheringen bei Bad Sulza. Mein Vater arbeitete schon seit 1938 bei der Firma Carl Zeiss in Jena als Maschinenschlosser. Meine Mutter war gelernte Damenschneiderin und war nach der Hochzeit meiner Eltern 1939 von Großheringen ebenfalls nach Jena gezogen. Meine Mutter betreute mich von Geburt an zu Hause - sie war nicht mehr berufstätig.
In den Jahren nach dem Kriege wurde oft eine Geschichte von meiner Mutter erzählt, das sich auch in mein Gedächtnis eingeprägt hat. Ich war etwa zwei Jahre alt, als ich von meiner Mutter auf einem kleinen Wagen mit Wäsche, die "gerollt" werden sollte, zu einer Wäschemangel an den Fichteplatz im Südviertel gefahren wurde. Meine Mutter "rollte" ihre Wäsche und ich, damals mit einem roten lockigen Haarschopf ausgestattet, spielte in einem Sandkasten auf dem Wäschemangelgrundstück. Auf diesem Grundstück lief auch eine Hühnerschar mit einem stattlichen Hahn herum. Aus heiteren Himmel fiel auf einmal der Hahn über mich her und hackte mir in die roten Haare, auf die Stirn und an den Mund. Der Angriff auf mich ließ mich aufbrüllen und meine Mutter musste den Hahn verscheuchen. Dann lief sie mit mir in die nicht weit entfernt gelegene Jenaer Kinderklinik. Dort wurde ich verarztet und auch wieder beruhigt.
Die zurückgebliebenen Narben kann ich noch heute vorzeigen, das Erlebnis selbst kenne ich allerdings nur aus den Erzählungen der anderen.
Nun fragt man sich, wie weit kann sich ein heranwachsendes Kind zurückerinnern. Diese Frage wird bestimmt von jedem Menschen anders beantwortet. Sicher ist, dass Zurückerinnern immer von einprägenden Erlebnissen beeinflusst worden ist.
Bei mir waren diese sich einprägenden Erlebnisse insbesondere die Luftangriffe der angloamerikanischen Bomber auf Jena Anfang 1945, die immer durch Sirenenalarme angekündigt wurden. So ist es einige Male passiert, dass ich mit meiner Mutter nachts oder auch tagsüber mit dem bereits zurecht gelegten "Notgepäck" in den zwei Straßen weiter gelegenen Luftschutzbunker geeilt bin, denn es bestand immer die Gefahr, dass das Schottwerk in Wohnungsnähe bombardiert werden könnte. Da diese Gefahr auch für die anderen Hausbewohner bestand, hatten sich meine Mutter und eine Nachbarin, die die Kinder Ruth und Jochen hatte, entschlossen, oft die Wohnungen am Schottwerk zu verlassen. Also wurden die nötigen Utensilien gepackt und man machte sich zu fünft auf den Weg in ein Ausweichquartier. Die beiden Ehemänner der Hausfrauen waren zur Wehrmacht eingezogen worden und so lag die ganze Last der Kinderbetreuung und -erziehung auf den Schultern der beiden Mütter. Das Ausweichquartier war die Ausflugsgaststätte "Waldschlösschen" hoch über Jenas Südviertel und direkt am Wald gelegen. Eine alleinstehende ältere Frau wohnte ganz allein mit einem schwarzen Bernhardiner - die Gaststätte war 1944/45 nicht geöffnet - auf dem "Waldschlösschen". Die fünf "Übernachtungsgäste" hatten sich auf dem Dachboden des Lokals einigermaßen eingerichtet und konnten sich so, ohne tägliche Angst vor Fliegeralarm und Bombenangriffen, aufhalten und auch dort übernachten.
An einem Tag Mitte März 1945, die zwei Mütter mit ihren Kindern hatten einen Angriff der anglo-amerikanischen Bomber auf Jena auf dem "Waldschlösschen" in Sicherheit überstanden, staunte man bei der Rückkehr in die Wohnung nicht schlecht, dass im Haus gegenüber des Schottwerkes alle Fensterscheiben zu Bruch gegangen waren. Im Wohn- und Schlafzimmer auf Möbeln und den Ehebetten lagen die Glassplitter weit verstreut. Die Druckwelle der explodie