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Fred Dewilde, Bettina Frank (Beteiligte)

Bataclan: Wie ich überlebte


Übersetzung: Frank, Bettina
2017. 50 S. Durchgehend vierfarbig. 32.3 cm
Verlag/Jahr: PANINI MANGA UND COMIC 2017
ISBN: 3-7416-0443-7 (3741604437)
Neue ISBN: 978-3-7416-0443-0 (9783741604430)

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Die Realität ist nur ein Puzzle aus verschiedenen Wirklichkeiten.
Dies ist nur ein Teil des Ganzen.
Die ist mein Bataclan.

Freitag, der 13. November 2015. An diesem verhängnisvollen Tag stürmen fundamentalistisch-religiös motivierte Attentäter das KonzertCafé Bataclan in Paris und töten wahllos unschuldige Konzertbesucher. Unter den Anwesenden ist auch der Comiczeichner Fred Dewilde. Stundenlang harrt er zwischen Toten und Verletzten aus, während die Terroristen wüten. Seine traumatischen Erlebnisse in den Stunden zwischen Bangen und Hoffen hat er in einer eindrucksvollen Graphic Novel festgehalten. Ein bewegendes Zeugnis gegen fundamentalistischen Terrorismus.
DAS GERÄUSCH
Das Geräusch war umso erschreckender, weil es so überraschend kam. Es war nicht wie im Film, nicht dieser mächtige, dumpfe Ton, der im Brustkorb vibriert, nein, es klang sogar ziemlich hell. Wie Knallfrösche. Jeder dachte das, alle waren wie versteinert durch dieses deplatzierte Geräusch, während bereits die ersten Menschen fielen.

Ich höre immer noch, wie die Gewehrsalven in der Musik untergehen, mit ihr verschmelzen. Dann nur noch das Geräusch. Wie Peitschenknallen. Erst als ich sehe, wie einer der Typen ein leeres Magazin in die am Boden liegende Menge wirft, merke ich, dass hier tatsächlich reale Gefahr besteht. Ich lege mich auf die anderen, wobei ich noch immer nicht wirklich überzeugt bin und noch halbwegs an einen Scherz denke. Doch dann sehe ich in die Augen eines Toten, und das Geräusch bekommt eine andere Dimension.
Wenn man sich tot stellt, darf man nicht zusammenzucken. Und ich weiß nicht wie, aber niemand bewegt sich. Fünf Minuten Dauerbeschuss. Fünf Minuten, in denen wir über die Konsequenzen unserer Lage nachdenken können. Als die Schüsse nicht mehr so häufig fallen, hoffen wir, dass sie sich entfernen. Vergeblich. Schwer zu sagen in so einem Saal, woher das Geräusch kommt ... von unten oder von oben? Aus den Verstärkern kommt ein Brummton von den Instrumenten, die noch angeschlossen sind. Ein beklemmendes Geräusch, das alle anderen verdeckt und verbirgt.
Das Gehör ist der einzige Sinn, der uns verrät, was vor sich geht. Ich lausche und erkenne, dass einer von ihnen tatsächlich kontrolliert, wer tot ist und wer sich nur tot stellt. Immer wieder unvermittelt Schüsse ... BAMM ... BAMM ... Wann sind wir an der Reihe? Glaubwürdig wirken, nicht bewegen, flach atmen. BAMM ... BAMM ... Ich bekomme mit, dass ein Mann zwei Meter von uns entfernt so getötet wurde. Zwei Meter.

Wir sehen nichts oder zumindest beinahe nichts von dem, was passiert, wir hören es nur. Gitarrenklänge ... ist einer der Terroristen für den besseren Überblick auf die Bühne gestiegen? Schleifgeräusche auf dem Boden, entweder ist das jemand, der kriecht, oder ein Körper wird gezogen.

"Aufstehen, Hände hoch!" Wer hat das gesagt? Ein Terrorist oder ein Polizist? Weil wir nicht sicher sind, bewegen wir uns nicht. Dann noch ein Schuss und eine Explosion, die, verstärkt durch die Lautsprecheranlage, den ganzen Saal ausfüllt und unsere Eingeweide vibrieren lässt. Ein dumpfer Aufprall auf dem Boden. Ich weiß, dass dies der Kopf ist, der heruntergefallen ist. Warum ich das weiß? Keine Ahnung, aber ich zweifle nicht eine Sekunde daran. Ich bin taub, es braust in meinen Ohren wie bei einem Sandsturm. Ich checke mich innerlich von Kopf bis Fuß und suche nach Schmerzen, aber alles scheint in Ordnung, scheinbar ... Aber ich kann mich nicht bewegen.
Allmählich fallen die Schüsse in größeren Abständen. Und dann hören wir andere, noch viel beängstigendere Geräusche: Schluchzen, Stöhnen, Schreie. Wir wagen nicht, uns zu bewegen. Aber diese Verzweiflung mit anhören zu müssen, ist eine Tortur.

Seit dem Abend im Bataclan hasse ich Lärm. Das Weinen meiner Tochter macht mich aggressiv. Plötzliche Geräusche lösen unkontrollierbaren Stress und lange Schlaflosigkeit aus. Ich verstecke mich unter meinen Kopfhörern, um dieser Realität zu entkommen, die mich bedrängt. Ich beschalle mich mit Dezibel, um die Außenwelt nicht mehr hören zu müssen. Nach einem halben Jahr wird es besser, aber noch lange nicht gut. Ich habe mir angewöhnt, nie ohne Kopfhörer rauszugehen, obwohl ich sie nicht immeraufsetze. Mittlerweile kann ich mit normalen Geräuschen einigermaßen umgehen. Martinshörner sind schon schwieriger ... Und Schüsse? Will ich gar nicht wissen. Ich bin nach wie vor aufgeladen wie eine Batterie unter Hochspannung und reagiere extrem. Es reicht eine Tür, die zuschlägt, oder eine unerwartete Berührung, damit ich zusammenfahre.

Trotz aller Bemühungen bin ich immer noch nicht da