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Ruth Axtell, Dorothee Dziewas (Beteiligte)

Esperanzas Weg


Übersetzung: Dziewas, Dorothee
2017. 349 S. 20.5 cm
Verlag/Jahr: FRANCKE-BUCHHANDLUNG 2017
ISBN: 3-86827-631-9 (3868276319)
Neue ISBN: 978-3-86827-631-2 (9783868276312)

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Maine 1892: Esperanza Estrada träumt davon, mehr aus ihrem Leben zu machen. Seit Jahren sehnt sie sich nach höherer Bildung und schwärmt für den Erben des örtlichen Sägewerks. Doch die Einwanderertochter ist auf der falschen Seite der Stadt aufgewachsen. Früh musste sie die Schule verlassen, um sich um ihre zehn jüngeren Geschwister zu kümmern, und so arbeitet sie nun in einer Konservenfabrik.
Als sie die Gelegenheit erhält, als Haushaltshilfe bei den wohlhabenden Stocktons anzufangen, ist Espy überglücklich. Denn Mr Stockton ist Professor an der örtlichen Schulakademie und sie darf sich nicht nur seine Bücher ausleihen, sondern er gibt ihr sogar Privatunterricht. Mit einem Mal scheint ihr Ziel zum Greifen nah - zumal der Mann ihrer Träume endlich Notiz von ihr nimmt. Doch dann macht ein böses Gerücht die Runde ...
1. Kapitel
Holliston, Maine, Juni 1892

"Warum bist du so in Gedanken vertieft, Brenty?"
Espy Estrada trat hinter dem dicken Stamm einer Ulme hervor und versperrte Warren Brentwood den Weg.
Er blieb wie angewurzelt stehen. Es war ihm unangenehm, dass er sich erschrocken hatte, und dann ärgerte er sich darüber, dass es ihm unangenehm war, und so nickte er nur kurz. "Hallo, Esperanza."
"Selber hallo, Warren." Sie stemmte eine schmale Hand in die Hüfte und schob eine Schulter vor. Ihre Augen, die von dichten Wimpern umrahmt wurden und deren Farbe irgendwo zwischen Bernstein und Braun changierte, funkelten belustigt.
Durch die hohen Ulmen, die über die Straße hinausragten, warf die Sonne Schattenflecken auf ihren ebenmäßigen Teint. "Was ist los? Hast du deine Zunge verschluckt?"
Sie zog die Mundwinkel nach oben, als wüsste sie ganz genau, wie verwirrend ihr Lächeln war, und als hätte sie vor, dieses Wissen zu ihrem Vorteil zu nutzen. Da Espy in den Slums am Stadtrand von Holliston aufgewachsen war, hätte Warren erwartet, dass sie inzwischen den einen oder anderen Zahn verloren hätte, aber ihre Zähne waren strahlend weiß. Umgeben von ihrer braunen Haut leuchteten sie nur noch mehr.
"Wo kommst du denn her?"
"Ich war die ganze Zeit hier. Du warst ja mit den Gedanken meilenweit fort. Woran hast du denn gedacht?"
Warren schluckte und widerstand dem Drang, einen Schritt von Espy zurückzuweichen. In letzter Zeit schienen ihre Wege sich oft zu kreuzen. Seit er vor einigen Wochen nach Holliston zurückgekehrt war, fiel ihm jedes Mal, wenn er ihr über den Weg lief - oder sie ihm - auf, was für eine ansehnliche junge Frau aus dem barfüßigen Mädchen geworden war, das in seinem ausgeblichenen Kattunkleid in der ersten Reihe des Schulhauses gesessen hatte, in das sie beide früher gegangen waren.
Anstatt ihre Frage zu beantworten, stellte er selbst eine. "Was machst du denn in der Elm Street?" Immerhin war diese Straße ein ganzes Stück von ihrem Stadtviertel entfernt.
Wenn seine spitze Frage sie aus der Fassung brachte, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie schob die Unterlippe ein wenig vor und sah ihn aus großen, tief liegenden Augen an.
"Ich habe hier heute Nachmittag eine Ver-ab-re-dung." Sie betonte die einzelnen Silben, als wollte sie die Bedeutung des Ereignisses unterstreichen.
"Wirklich?" Er konnte die Überraschung in seiner Stimme nicht verbergen.
Espy nickte und warf ihm einen kecken Blick zu. Ihr goldfarbener Teint verriet die portugiesische Herkunft väterlicherseits und hob sich deutlich von der modischen Blässe der Frauen ab, die er sonst kannte. Aber er passte gut zu ihren Haaren, die zu einem lockeren Knoten hochgesteckt waren, aus dem Ranken wie glänzende Schlangen über ihren Hals krochen. Ihre Strohhaube war zurückgerutscht und wurde nur noch von dem Band über Espys Schlüsselbein gehalten.
Warren sah, dass ihre Kleidung sich nicht sehr verändert hatte, aber das, was sich darin befand, hatte sich ganz eindeutig verändert. Hastig wandte er den Blick ab, weil die Richtung, in die seine Gedanken wanderten, ihn beunruhigte.
Mit einem kurzen Nicken machte er Anstalten, an ihr vorbeizugehen. "Wenn du mich entschuldigst, Esperanza ... ich war gerade auf dem Weg zurück ins Büro."
"Es gefällt mir, wenn du mich Esperanza nennst. Irgendwie klingt das so steif und spießig. Ist das die Stimme, mit der du den ganzen Tag im Büro sprichst, wenn du in der Mühle hinter deinem großen Schreibtisch sitzt?"
Warren starrte sie an und fragte sich, was sie meinte. Bevor ihm eine passende Entgegnung in den Sinn kam, fiel sie mit ihm in Gleichschritt. Ihre bloßen Arme schlenkerten munter vor und zurück. Er konnte es sich nicht verkneifen, kurz die Straße hinaufzuspähen, um zu sehen, ob jemand in der Nähe war.
Was für ein merkwürdiges Paar sie abgeben mussten; er in seinem Anzug - "spießig" hatte sie ihn genannt - und sie ... erneut musterte er ihre Silhouette.