Neuerscheinungen 2017Stand: 2020-02-01 |
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Martin Knispel, Norbert Schäfer
(Beteiligte)
Berliner Gespräche
Politiker über Glauben, Werte und Verantwortung. Wolfgang Thierse, Friedrich Ostendorf, Katrin Göring-Eckardt, Bodo Ramelow, Frank Heinrich, Thomas Rachel, Steffen Bilder, Franz Josef Jung, Dietmar Nieta
2017. 174 S. 21 cm
Verlag/Jahr: FRANCKE-BUCHHANDLUNG 2017
ISBN: 3-86827-633-5 (3868276335)
Neue ISBN: 978-3-86827-633-6 (9783868276336)
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"Wir haben ihnen Fragen gestellt und sie haben uns geantwortet. Gelegentlich hat uns ihre Offenheit verblüfft. Aus manchem Gespräch gingen wir als Beschenkte."
Ein Journalist und ein Theologe haben sich mit 15 Politikerinnen und Politikern aus den im deutschen Bundestag vertretenen Parteien - CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke - getroffen und ihnen Fragen gestellt. Fragen zu ihrer Einstellung zu den christlichen Grundwerten unserer Gesellschaft, zu ihrem Umgang mit moralisch schwierigen Entscheidungen, zu ihrem Halt in Krisensituationen, zu ihrer Einschätzung der aktuellen gesellschaftlichen Situation in Deutschland und vielen anderen Themen. Entstanden sind 15 faszinierende Gesprächsreportagen, in denen die Politiker Einblick in den Kompass ihres politischen Handelns geben.
Vorwort
"Hier stehe ich und kann nicht anders ...", soll Martin Luther gesagt haben, als er seine frühen Schriften vor dem Kaiser in Worms widerrufen sollte. Sein Gewissen und sein Verständnis der Heiligen Schrift geboten es ihm, sich dem Druck der damaligen Autoritäten zu widersetzen und Verantwortung wahrzunehmen.
Der Bezug auf meinen Glauben und die Reformation sind mir auch in meiner Arbeit als Außenminister wichtig. Was das in der Praxis heißt und warum ich in gewisser Weise "mit Luther" Außenpolitik mache, zeigen vielleicht diese drei Beispiele ganz gut:
Mein Amt bringt mit sich, dass ich nahezu täglich Verhandlungen mit schwierigen Partnern führen muss, und nicht selten sind die Krisen dieser Welt Anlass dafür. Es kommt vor, dass ich mit den Überzeugungen und der Politik meiner Gesprächspartner ganz und gar nicht übereinstimme. Aber wäre es nicht verantwortungslos, sich nicht in diese Gespräche zu begeben - insbesondere gegenüber den Menschen, die am meisten unter diesen Krisen leiden? Man sagt Luther den Satz mit dem Apfelbaum nach, den er pflanzen wolle, auch wenn morgen die Welt zugrunde ginge. Dieser Satz ist nur eine moralische wie gedankliche Stütze - und ein Ansporn weiterzumachen.
Die Frage nach der Ordnung in einer Gesellschaft und zwischen Gesellschaften hat mich in meinem Leben schon früh beschäftigt. "Eure Ordnung ist unsere Unordnung", in diesem Ghandi-Zitat steckt viel Wahres. Oft hat westliche Politik gerade nicht dazu beigetragen, Menschenrechte in einer bestehenden Ordnung zu etablieren. Offene Kritik, die bewusste kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und Gesellschaft - das ist ebenfalls ein ganz reformatorischer Gedanke. Freilich einer, der bei Luther eher zu wenig ausgeprägt war und für den viel mehr Melanchthon oder Erasmus von Rotterdam und die großen reformatorischen Vordenker der Aufklärung stehen, von Thomasius über Kant bis hin zu Habermas heute.
Auf meiner ersten Reise nach Frankreich in einem Citro‰n 2CV habe ich viel über Europa gelernt. Damals habe ich Europa zu meinem Leitstern gemacht. Deutschland und Frankreich waren Erbfeinde, sind nun aber engste Partner. Daraus dürfen wir Mut schöpfen, müssen uns aber auch realistisch die langen Zeitspannen vor Augen führen, die wir in der Außenpolitik für politische, kulturelle und gesellschaftliche Integration benötigen. Gemeinsamkeiten, wie sie zwischen Frankreich und Deutschland heute bestehen, haben sich aber nicht nur durch politische Prozesse entwickelt, sondern vor allem über den kulturellen Austausch.
Meine Arbeit beruht auf dem Grundgedanken, dass Deutschland gerade angesichts der schwarzen Stunden seiner Geschichte eine Außenpolitik zu verfolgen hat, in der wir durch Verständigung gestalten und nicht durch Macht oder Gewalt. Es ist ganz offensichtlich, dass mich auch hierbei die Reformation begleitet und anleitet. Denn ich bin aus tiefstem Herzen davon überzeugt, dass unsere Freiheit eine Freiheit zu etwas ist. Eine Freiheit, die es uns erlaubt, Verantwortung zu übernehmen. Eine Freiheit, die uns auffordert, zu einer besseren Welt beizutragen. Carolin Emcke hat das in ihrer großen und kämpferischen Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels aus einem anderen Blickwinkel so formuliert "Freiheit ist nichts, das man besitzt, sondern etwas, das man tut."
Auch in diesem Band sind kritische Stimmen versammelt, die aus ihren Wertvorstellungen und aus ihrem Glauben heraus ihre Stimme erheben und Partei ergreifen, die aus ihrer Freiheit heraus gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Mit der Reformation ging auch eine neue, eine gewachsene Verantwortung einher - für uns selbst, aber auch für die Welt, in der wir leben. Es ist an uns, diese Verantwortung anzunehmen.