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Neuerscheinungen 2017

Stand: 2020-02-01
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Mascha Dabic

Reibungsverluste


Roman
2017. 152 S. 20.5 cm
Verlag/Jahr: EDITION ATELIER 2017
ISBN: 3-903005-26-6 (3903005266)
Neue ISBN: 978-3-903005-26-6 (9783903005266)

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Eine Dolmetscherin erzählt. Nach zweieinhalb Jahren in Russland ist Nora wieder zurückgekehrt. In ihrem Job als Dolmetscherin ist sie Sprachrohr für traumatisierte Flüchtlinge, ebenso wie für die Psychotherapeuten. Es fällt ihr zunehmend schwer, sich von den Leidensberichten der Flüchtlinge zu distanzieren und die verallgemeinernde Haltung von Politik und Gesellschaft zu akzeptieren. Daneben versucht Nora, ihr eigenes chaotisches Leben auf die Reihe zu kriegen.
Mascha Dabic zeigt in ihrem Roman eindrücklich eine kaum beachtete Seite der Flüchtlingskrise: die Dolmetscherin im Hintergrund.
"Eindringlich beschreibt Dabic die erschütternde Arbeit vieler in der Flüchtlingshilfe tätiger Menschen. Sie zeigt aber auch, wie sehr politische Entscheidungen in das Private, in das persönliche, intime Leben eindringen. Einzelschicksale wie die der Geflüchteten in ihrem Roman sind es, die globale Krisen und Konflikte erst greifbar machen." - Sandro Abbate, Novelero
[...]
Plötzlich ging die Tür auf, und Roswitha steckte ihren Lockenkopf durch.
"Entschuldigung, da ist jemand am Apparat. Nora, gehst du bitte ran, ich glaub, es ist Russisch."
Nora sprang von ihrem Stuhl auf, drückte ihre Zigarette aus und eilte zum Telefon. Es war Frau Sultanowa, die sich dringend einen Termin wünschte, möglichst noch heute, es sei ein Notfall. Nora gab die Information an Roswitha weiter, diese schaute in ihren Kalender und fragte Nora:
"Wie lang kannst du heute?"
"Open end", antwortete Nora, ohne zu überlegen und hätte sich in diesem Augenblick am liebsten auf die Zunge gebissen."Okay, dann hängen wir einfach eine Stunde an. Sag ihr, sie kann um 17 Uhr kommen."
Nora gab den Termin durch und legte auf. Sie würde also mindestens bis 18 Uhr bleiben müssen. Nora verfluchte sich für ihre unbedachte, in vorauseilender Hilfsbereitschaft getroffene Zusage.
Roswitha lächelte.
"Danke. Der Herr Achmadow hat uns ja mal wieder versetzt. Wer weiß, was es diesmal schon wieder ist."
"Vielleicht hat er eine Arbeit gefunden ...?", warf Nora ein und ärgerte sich wieder über ihre Gedankenlosigkeit. Bei den meisten Psychotherapeuten musste man auf der Hut sein, so viel hatte Nora schon begriffen. Erst seit einem halben Jahr war sie mit dieser Berufsgruppe konfrontiert, und sie fühlte sich in der betriebsinternen Kommunikation noch nicht ganz wohl. Die Art, wie die Psychotherapeuten untereinander über die Patienten oder "Klienten" sprachen, gab ihr Rätsel auf. Manchmal klang es wie banaler Tratsch, dann wieder hatte Nora das Gefühl, dass in jedes Wort des Klienten viel zu viel hineininterpretiert wurde, und manchmal wusste sie einfach gar nicht, was sie von dem ganzen Laden halten sollte. Ihr war bewusst, dass mehr dahinterstecken musste, aber sie selbst war noch nicht ganz darauf gekommen, worum es eigentlich ging und welche Begriffe mit welchen Bedeutungen aufgeladen waren. Alles in allem fühlte sich das psychotherapeutische Terrain für Nora wie ein verbales Minenfeld an, in dem man nicht oft genug den Mund halten konnte. Erika war ihr da eine große Hilfe. Sie konnte in klaren Worten und mit wohldosierter Ironie die Macken und Vorlieben jeder Therapeutin so umreißen, dass Nora in etwa wusste, woran sie bei wem war.
"Nein, das meinte ich nicht, ob er eine Arbeit gefunden hat oder nicht", konterte Roswitha auch schon, und Nora beschlich erneut dieses ungute Gefühl, etwas Banales und Überflüssiges gesagt zu haben. Si tu tacuisses, Noretschka ...
"Ich denke, es geht um etwas anderes. Weißt du noch, vor zwei Wochen hat er zum ersten Mal wirklich über seine Foltererfahrungen gesprochen. Das ist ihm jetzt wahrscheinlich unangenehm, und deshalb bleibt er uns eine Weile fern. Aber ich denke, er wird wiederkommen."
Und ich denke, er hat letztes Mal erwähnt, dass er vermutlich bald eine Arbeit als Hausmeister bekommt und dass er dann nicht mehr regelmäßig kommen kann, dachte Nora, sagte diesmal aber nichts, sondern nickte nur vage.
[...]