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Neuerscheinungen 2017

Stand: 2020-02-01
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Karl Friedrich Borée

Frühling 45


Chronik einer Berliner Familie. Roman
2017. 480 S. 20.5 cm
Verlag/Jahr: LILIENFELD VERLAG 2017
ISBN: 3-940357-60-X (394035760X)
Neue ISBN: 978-3-940357-60-1 (9783940357601)

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Berlin vom Untergang zum Neuanfang. Dicht am Alltag, ohne falsche Sentimentalität, voller Tatsachen und einnehmend erzählt. Die Wiederentdeckung eines Ausnahmeautors.
Es beginnt mit einem Glücksfall: Der Ich-Erzähler kann im Februar 1945 zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter in einem ruhigeren Randbezirk in ein von seinen Besitzern verlassenes Haus ziehen, in dem sich nur noch die Haushälterin und geheime Vorräte befinden. Eindrücklich und wendungsreich wird das Leben der kleinen Gemeinschaft in einer Zeit geschildert, in der die Vergangenheit brutal versinkt und das Kommende mehr als dunkel ist. Aber sie ist nicht nur gekennzeichnet von Todesangst, Zerstörung, Hunger und dem ängstlich erwarteten Eintreffen der Sieger, sondern auch von optimistischen Planungen für eine demokratische Zukunft und ganz persönlichen Sehnsüchten, die in dieser apokalyptischen Situation mitunter zu grundsätzlichen Lebensfragen werden. Dann kommt der Frieden und bringt eigene Gefahren mit sich. Ruhe tritt jedenfalls noch längst nicht ein. Lebendig und kompromisslos erzählt Borées autobiographisch geprägter Roman von diesen drastischen Tagen in der Geschichte Berlins.
Um 17 Uhr war Arbeitsschluß, und ich begab mich auf die Rückfahrt. Aus einem Anlaß, den ich nicht mehr weiß, ging ich bis zum Bahnhof Friedrichstraße, statt Unter den Linden einzusteigen. Als ich auf den Bahnsteig kam, fand ich die Menschen fünf Glieder tief vor den beiden Geleisen warten: viele Omnibus- und Straßenbahnlinien waren schon ausgefallen, so daß sich alles auf die Stadtbahn stürzte. Während der Zug einfuhr, schon gut besetzt, ballten sich die Menschen vor den Wagentüren zusammen, und wenn man nicht der letzte war, brauchte man sich ums Mitkommen nicht zu bemühen. Man wurde emporgehoben und hineingewälzt. Drinnen hing man in seinen Nachbarn. Die Arme blieben, wohin sie geraten waren. Ich begriff, warum die Männer neuerdings ihre Aktentaschen an einem Riemen trugen und daß die Frauen sich in der neuen Mode der Männerhosen (die aus Mangel an Strümpfen und Heizung und aus dem Überfluß an männlicher Zivilkleidung entstanden war) gerechtfertigt fühlten. Die Leute ertrugen die entwürdigende Qual mit Disziplin - oder mit Lammsgeduld? Sie gehörte einfach dazu. Niemand protestierte, als auf der nächsten Station neue sich hineinzwängten: jeder hatte das gleiche Recht, nach Haus zu kommen. Man hielt die letzten in der nicht mehr zu schließenden Tür an den Armen fest. Das Maß, in dem man den Menschen komprimieren kann, hat keine Grenzen.
Die anonyme Situation begünstigte den bodenständigen Witz. "An so ´ne gute Polsterung bin ich gar nicht mehr gewöhnt." Doch selten waren die Körperteile, mit denen man in intime Berührung gezwungen wurde, attraktiv.