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Neuerscheinungen 2017

Stand: 2020-02-01
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Peter Trier, Gary Victor (Beteiligte)

Der Blutchor


Übersetzung: Trier, Peter
2., überarb. Aufl., UBR. 2017. 116 S. 19 cm
Verlag/Jahr: LITRADUKT 2017
ISBN: 3-940435-00-7 (3940435007) / 3-940435-23-6 (3940435236)
Neue ISBN: 978-3-940435-00-2 (9783940435002) / 978-3-940435-23-1 (9783940435231)

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Ein Mann leert seinen Kopf, da er fürchtet, das Schicksal der Kokosnüsse zu erleiden. Ein hoher Beamter ändert den Lauf der Geschichte, als ihm ein Schwanz wächst. Ein im Traum geschlossenes Geschäft wird beängstigende Wirklichkeit. Ein Drogensüchtiger sucht, dem "Programmierer" seines Lebens auf die Spur zu kommen. Neun Erzählungen von Gary Victor, in denen sich Sozialkritik, schwarzer Humor und überbordende Phantasie zu jener unverwechselbaren Handschrift verbinden, die ihn zum populärsten Gegenwartsautor Haitis machen.
Die Hand (Auszug)

Der Hund war durch die Öffnung in der dichten Hecke verschwunden, die die Grenze zwischen den beiden Grundstücken markierte, denn die Mauer war mit der Zeit zerfallen. Eine rote Backsteinmauer, Überrest einer Plantage aus der Kolonialzeit.
"Pluto, Pluto!", rief Syaniz, die Hände zu einem Schalltrichter geformt, "Pluto!"
Keine Spur von dem Hund. Syaniz spürte, wie er von einer unbestimmten Besorgnis erfüllt wurde. Er hing an diesem Hund, einem reinrassigen deutschen Schäferhund, mehr als an irgendetwas anderem. So hatte er denn auch eine seiner Geliebten durchgeprügelt, als diese sich erlaubt hatte, dem Tier einen Fußtritt zu geben. Einen Tritt in die Geschlechtsteile! Nachdem er Pluto gerächt hatte, war er genötigt gewesen, ihn schnellstens zum Tierarzt zu bringen, aus Angst, er könnte von dem Tritt irgendwelche Schäden davontragen. Glücklicherweise hatte der Tierarzt nichts Besorgniserregendes diagnostiziert.
"Pluto!", rief er noch einmal, "Pluto, hierher!"
Der Hund kam noch immer nicht zurück. Syaniz erwog einen Augenblick, ob er selbst durch die Öffnung in der Hecke das Grundstück seines Nachbarn betreten sollte. Seit er das Anwesen erworben hatte, hatte er nie irgendjemand im Nachbarhaus gesehen, obwohl er sich regelmäßig in diesen abgelegenen Winkel begab. Öfter mit seinen Geliebten als mit seiner Frau, zu der die Beziehungen eher gespannt waren. Er hätte sich diese eifersüchtige und sauertöpfische Ehefrau, die ihre Reize eingebüßt hatte, vom Hals geschafft, wäre da nicht die Angst vor der kostspieligen Scheidungsprozedur. Der Wächter hatte ihm jedoch versichert, dass jemand das Haus nebenan gelegentlich aufsuchte. Ein gewisser Lomé, ein reicher Politiker im Ruhestand, der manchmal nachts zu seltsamen Zeremonien hierher kam. Genau so hatte sich der Wächter ausgedrückt: seltsame Zeremonien. Und dies war der Grund, warum Syaniz nicht durch die Hecke ging. Seine lange Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass die Vorsicht in diesem Land eine Eigenschaft war, die es zu kultivieren galt.
"Pluto!", rief er noch einmal tiefbetrübt.
Er wagte nicht, sich vorzustellen, dass seinem deutschen Schäferhund etwas zugestoßen sein könnte. Als er ihn wieder durch die Hecke schlüpfen und auf sich zukommen sah, konnte er einen Seufzer der Erleichterung nicht unterdrücken. Der Hund hielt etwas im Maul. "Hierher, Pluto, hierher. Was hast du da im Maul?" Der Hund wollte wohl spielen, er begann wegzulaufen, um ihn zu einer Verfolgungsjagd zu veranlassen. Syaniz musste all seine Autorität aufbieten, damit das Tier stehenblieb. Diese jungen Hunde waren eben sehr verspielt.
"Zeig her, was du da im Maul hast, Pluto!"
Syaniz stieß einen Schrei aus. Der Hund hatte eine Hand zwischen den Zähnen gehalten! Eine Frauenhand, deren einen Finger ein Diamantring zierte. Die Hand war am Gelenk mit einem besonders scharfen Instrument abgetrennt worden; das Fleisch wies an der Schnittfläche keine jener Unebenheiten auf, die eine solche Gewalteinwirkung normalerweise hinterlässt.
"Wir müssen die Polizei rufen", sagte der verstört wirkende Wächter noch einmal.
Syaniz hielt mit Mühe den Hund zurück, der hartnäckig versuchte, sich seinen Fund wieder anzueignen. Wo und wie hatte Pluto bloß diese Hand finden können? Die Hand dürfte Teil eines Ganzen sein. Irgendwo musste die Leiche sein, zu der sie gehörte. Man musste kein Hellseher sein, um zu erraten, dass hier ein Mord vorlag. Dieser Gedanke ließ ihn vor Vergnügen erschauern. Er stellte sich seine Frau vor, von einer Befreiermachete in tausend Stücke gehauen, ihr Körper zerlegt und in eine Grube hinter dem Haus geworfen. Wer würde hier herumstöbern? Niemand. Er jedenfalls würde nicht den Fehler begehen, die Leiche so oberflächlich zu verscharren, dass ein Hund, der wie Pluto überall herumschnüffelte, eine Hand ausbuddeln konnte. Syaniz spürte, wie er von tiefer Bewunderung für seinen Nachbarn erfüllt wurde. Da der Hund weiter an