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Neuerscheinungen 2018

Stand: 2020-02-01
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Bastian Schneider

Die Schrift, die Mitte, der Trost


Stadtstücke
2018. 152 S. 21 cm
Verlag/Jahr: SONDERZAHL 2018
ISBN: 3-85449-493-9 (3854494939)
Neue ISBN: 978-3-85449-493-5 (9783854494935)

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"Im Schaufenster einer Buchhandlung lag eine tote Fliege vor den Bestsellern der Saison auf dem Rücken. Sie streckte ihre dünnen Beinchen in die Luft wie winzig kleine Antennen, die sich bei jedem Luftzug neu ausrichteten."
Mit feiner Ironie lauscht Bastian Schneider den ephemeren Momenten des städtischen Alltags ihre so gar nicht kurzlebige Poesie ab. Unter seinem Blick erweisen sich gerade die Unscheinbarkeiten als unerschöpflicher Steinbruch für
dichterische Einsichten.
Die Kurztexte ergeben dabei eine besondere Route durch europäische Metropolen wie Istanbul, Köln, Marseille, Paris oder Wien, indem sie diese zu verschiedensten "Stücken" verdichten: Frühstücke, Randstücke, Spazierstücke, Singstücke (u.v.w.m.) laden dazu ein, die teils abgründige Schrift urbaner Oberflächen sehen und lesen zu lernen.
Ist man einmal mit einem dahingehend geschärften Sensorium ausgestattet, kann man sich der intimen Verbindung von Worten und Begebenheiten nicht mehr entziehen: Die kleinsten Details erweisen sich als Ausdruck und
Kommentar zu den großen Fragen, die Bezeichnungen der Dinge graben sich tief in die eigenen Beobachtungen ein und rufen bisher stumm gebliebene Korrespondenzen auf den Plan. Auf subtile Weise bilden die "Stadt stücke" so nicht nur hellsichtige Fragmente, sondern eine kleine Schule des Sehens und Sagens: Die Wirklichkeit ist nicht einfach der Fall, sondern entspinnt sich erst im kunstvollen Wechselspiel von Worten und Geschehen - stückweise.
FRÜHSTÜCK
Vor kurzem habe ich einen kleinen gelben Bleistift verloren, den ich immer bei mir hatte. Schon oft hielt ich ihn für verschollen, aber dann tauchte er doch wieder auf - im Sieb der Waschmaschine, in einer Jackentasche oder auf irgendeiner Ablage. Wie alle Bleistiftstummel, so hat auch er ein argloses Wesen. Er paßt in jede Hosentasche und entfaltet dort seine beruhigende Wirkung. Jeder Bleistift hat das Zeug, einmal ein Stummel zu werden. Dazu braucht man nur Geduld. Es bereitet mir eine geradezu elterliche Freude, den Bleistift schrumpfen zu sehen. Man muß ihn dazu natürlich durch regelmäßiges Schreiben und Spitzen ermuntern. Nur so kann er in der Schrift aufgehen und sich für uns opfern. Man sollte ein Buch schreiben mit nur einem einzigen Bleistift. Man sollte das Vergehen von Zeit in Bleistiften messen. Jedenfalls sind einige Bleistiftlängen vergangen, seit ich meinen kleinen gelben Bleistift verloren habe. Offenbar hat er es geschafft, sich endlich von mir zu lösen, um allein die Welt zu erkunden. Wenn er mir wenigstens eine Karte schreiben würde, damit ich weiß, wie es ihm geht. Ich tröste mich allein damit, ihn irgendwo da draußen zu wissen. So bleibt auch ein Teil von mir für immer dort und ich kann mich Tag für Tag auf die Suche begeben.
Schneider, Bastian
Bastian Schneider, 1981 in Siegen geboren. Studium der Psychologie sowie der deutschen und französischen Literatur in Marburg und Paris; Studium der Sprachkunst in Wien. Seit 2017 Mitglied der Grazer Autorenversammlung. Förderpreis des Landes NRW 2017, Stipendiat des Atelier Galata der Stadt Köln in Istanbul 2017, Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium 2016, nominiert für den Ingeborg-Bachmann-Preis 2016. Er lebt in Köln und Wien.