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Neuerscheinungen 2018

Stand: 2020-02-01
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Erik Lutz

Pragmatische Giraffen. Schnittstellen von Gewaltfreier Kommunikation und Sprachwissenschaft


2018. 64 S. 220 mm
Verlag/Jahr: DIPLOMICA 2018
ISBN: 3-9614659-9-1 (3961465991)
Neue ISBN: 978-3-9614659-9-6 (9783961465996)

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Ist an der "GFK" wirklich etwas dran?
Die "Gewaltfreie Kommunikation" nach Marshall B. Rosenberg erfreut sich in Deutschland fortwährender Beliebtheit und gilt mittlerweile als etabliertes Konfliktlösemodell - und das, obwohl sie wissenschaftlichen Standards nicht genügt. Dabei sollte der Gebrauch nicht unreflektiert vonstattengehen. Er bedarf einer wissenschaftlichen Fundierung. Obwohl sich die GFK sprachlich verwirklicht, hat sich die Germanistik bisher kaum des Themas angenommen. Dieses Buch ist ein Schritt, diese "Lücke" zu schließen und tatsächlich braucht die GFK eine kritische sprachwissenschaftliche Überprüfung nicht zu fürchten. Bereits in den grundlegenden Kommunikationstheorien von Shannon und Weaver oder Austin zeigen sich Schnittstellen mit Rosenbergs Modell, die eine vollständige Erfassung möglich und sinnvoll erscheinen lassen. Das Buch enthält außerdem eine kritische Reflexion bisheriger Literatur zum Thema.
Textprobe:
Kapitel 5.2.2.1.4. Vier Schritte - Gewaltfreier Ausdruck
Das Vier-Schritte-Modell der gewaltfreien Kommunikation, die behelfsmäßige Grundstruktur einer gewaltfreien Äußerung (vgl. Rosenberg et al. 2010, S. 26), lässt sich durch Austins Terminologie subsummieren. Die GFK verwirklicht sich im Gespräch entweder durch "ehrlich ausdrücken" (Rosenberg et al. 2010, S. 26) oder "empathisch zuhören" (Rosenberg et al. 2010, S. 26).
Dabei wendet Rosenberg das Modell nicht nur auf Äußerungen des Gegenübers, sondern auf dessen Handlungen generell an. Das lässt sich relativ problemlos auf Austins Terminologie übertragen. Beispielsweise kann die bloße Handlung des Schulterklopfens als Lokution betrachtet werden. Daran kann z. B. die Illokution des Lobens geknüpft sein, verknüpft mit der in actu-Perlokutionsabsicht des Aufmunterns. Analog gilt das sogar für Handlungen, die gar nicht an den Empfänger gerichtet sind, von ihm aber dennoch wahrgenommen wurden. So kann in einem Firmenbüro z. B. ein Sprecher äußern: "Wenn Sie Firmendokumente auf dem Boden des Konferenzraums liegenlassen [Lokution], bin ich verärgert [post festum-Perlokution], weil mir wichtig ist, daß interne Vorgänge vertraulich behandelt werden [Begründung der post festum-Perlokution]" (Rosenberg et al. 2010, S. 84). Ebenso wie wörtliche Äußerungen können solche Handlungen missverständlich sein in dem Sinne, dass an eine Handlung mehrere "Illokutionen" und "Perlokutionen" geknüpft sein können. So könnte der Kollege aus dem Beispiel die Papiere aus verschiedenen Motiven liegen gelassen haben.
Im Folgenden liste ich die einzelnen Schritte des gewaltfreien Ausdrucks auf und erläutere sie durch die Perspektive der Sprechakttheorie.
Der erste Schritt der GFK ist das Äußern einer Beobachtung unter besonderer Berücksichtigung der Unterscheidung von Beobachtung und Bewertung der Beobachtung. Der Grund dafür ist, dass die GFK sich dadurch die größte Wahrscheinlichkeit verspricht, dass beide Sprecher darin übereinkommen, über welche Äußerung sie nun in der Metakommunikation sprechen wollen (vgl. Rosenberg et al. 2010, S. 51). Den Satz "Meine Tante klagt" (Rosenberg et al. 2010, S. 53) kritisiert Rosenberg beispielsweise als Bewertung. Um eine reine Beobachtung zu äußern, empfiehlt er: "Meine Tante hat [...] über Leute gesprochen, die nicht so mit ihr umgegangen sind, wie sie das gerne gehabt hätte" (Rosenberg et al. 2010, S. 54). In Austins Begriffen wird hier versucht, sich auf den zu diskutierenden Sprechakt zu einigen und sich dabei zugunsten dieser Übereinkunft nicht auf Illokution und Perlokution besagter Äußerung zu beziehen. Auch aus Austins Perspektive ist das sinnvoll, da Illokution und Perlokution eine komplexere Verständnisleistung erfordern, als die Lokution (siehe Kap 5.2.2). Das "wörtlich Gesagte" kann relativ einfach identifiziert werden, wohingegen die daran geknüpften Illokutionen und Perlokutionen schwieriger zu kommunizieren und identifizieren sind. Eine Einigung darüber ist also schwerer zu erzielen. Das obige Beispiel zeigt, nach Austins Begriffen, wie Rosenberg die Illokution "klagen" bei der Beschreibung der Beobachtung möglichst vermeiden möchte. Es zeigt aber auch, dass es schwierig ist, bei der Beschreibung einer Lokution diese vollständig von einer Illokution zu lösen. Deshalb wurde die Illokution "klagen" an dieser Stelle schlicht durch das abstraktere "hat ... gesprochen" ersetzt - eine neutralere, weniger spezifische Illokution, die in der Hoffnung auf Konsensstiftung gewählt wird (vgl. Rosenberg et al. 2010, S. 45). Möchte man auf die Angabe einer Illokution gänzlich verzichten, bietet sich alternativ der Bezug auf eine Äußerung oder Handlung durch deiktische Mittel (z. B. "das") an (vgl. Rosenberg et al. 2010, S. 122). Auch die direkte Wiedergabe der gehörten Worte in der indirekten Rede wird zur Übereinkunft vorgeschlagen (vgl. Rosenberg et al. 2010, S. 70).
Im zweiten Schrit