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Neuerscheinungen 2019

Stand: 2020-02-01
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Wolfgang Hagen

Neudasein


Zur sozialen Epistemologie digitaler Fotografie
2019. 160 S. 12 x 19 cm
Verlag/Jahr: KULTURVERLAG KADMOS 2019
ISBN: 3-86599-231-5 (3865992315)
Neue ISBN: 978-3-86599-231-4 (9783865992314)

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Wie als wenn eine Allsichtbarmachung ihres Daseins endlich möglich wäre, greift bei Millionen Menschen in den florierenden Ökonomien des digitalen Kapitalismus das Fotografieren mit Smartphones um sich. Bildermyriaden, überwiegend unabgrenzbar das Öffentliche und Private, das Gewollte und Kontingente, das Bewusste und Unbewusste vermischend, rauschen täglich durch die globalen Datenkanäle, werden geteilt, ´geliked´, getwittert, gepostet, kopiert und gelöscht. Nichts ist hier alt und nichts bleibt im Verborgenen, weshalb für einige unterdrückte Künstler solche kettenfotografischen Daseinsbehauptungen lebensrettend geworden sind. Waffe oder nicht, Neudaseins-Fotografie erzeugt eine pure und endlose Präsenz, weil jederzeit ein neues das Bild zuvor überschreibt und an die Stelle eines alten tritt. Keine Fotografie der Erinnerung, sondern eine der sozialen Wirkung von Daseinsinszenierungen. Epistemologisch liegen dieser Bilderrasanz reversible Produkte der Quantenmechanik zugrunde, pure Datenmuster, die bei korrekter algorithmischer
Behandlung jede beliebige Form annehmen und also auch Bilder mit allen Merkmalen der klassischen Fotografie - sofern berechenbar - repräsentieren
können. Die Komplexität der Technik (´Active-Pixel-Sensor´) und die Geschwindigkeit, mit der alles abläuft, erzeugen in ihrer sozialen Wirkung
jederzeitige Sichtbarkeit aller Phasen des Prozesses und verführen damit zu
einem prozeduralen Mystizismus, der soziale Realitäten des Umgangs mit
dem eigenen und dem fremden Bild weitgehend neu konfiguriert. Neudaseins-
Fotografie ist ´Fotografie auf dem Chip´, bei der ein Hin- und Draufhalten
reicht und damit Fotografen und andere Begegnungen mit absichtsvollen
Menschen quantenmechanisch herausgerechnet sind. Alles Entropische, also z.B. Überlegungen und Gedanken, die überprüft oder hinfällig werden könnten, sind passé. Es gelten nur noch die einfachsten Konventionen für ein Was, Wo, Hier und Da des bilderzeugenden Draufhaltens (´The Best Camera Is The One That´s With You´), um ein neues existentielles ´Being There´ auf allen Seiten zu eröffnen. Neudaseinsbilder sind deshalb so inhärent kapitalistisch, weil sie ein paradoxales Dasein erzeugen, an dem nichts hängt und zugleich alles, solange es stetig Neues erzeugt, das die sozial-digitalen Netzkanäle füllt. Neudaseins-Fotografie erlaubt in diesem Spiel der Überschreibungen und Ersetzungen ungeahnte soziale Profilierungen und Regime des Selbst, weil es ohne
Entropie und völlig angstlos mit den Diskursen des Bildlich-Unbewussten zu
rechnen scheint. Noch das Erschreckenste, das dabei auftauchen mag (weil es
ja auch das Unbewusste selbst ist, das rechnet), kann jederzeit wieder weggerechnet werden, spurenlos durch ein neues Bild oder die Delete-Taste.
Wolfgang Hagen, Jahrgang 1950, studierte Germanistik und Philosophie in Wien und Berlin. Von 1970 bis 1972 arbeitete er im Merve-Verlag Berlin. Er promovierte 1977. 1978 war er Kulturredakteur bei Radio Bremen, 1979 bis 1984 Redakteur und Moderator der Sendung ´SFBeat´ des SFB. Von 1985 bis 2002 arbeitete er zunächst als Leiter der Abteilung ´Kultur Aktuell´, als Moderator von ´Drei nach Neun´, dann als Gründungs- und Programmchef von ´Radio Bremen Vier´, dem ersten Jugendprogramm der ARD. 2001 habilitierte Hagen sich an der Universität Basel. 2002 bis 2012 war er Leiter der Kultur- und Musikabteilungen sowie Leiter der Medienforschung im Deutschlandradio Kultur. 2003 begann er als Privatdozent für Medienwissenschaftan der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2012 ist Wolfgang Hagen Professor für Rhetorik an der Leuphana Universität Lüneburg. Weitere Informationen auf www.whagen.de.